Bildungsmisere
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Bildungsmisere (15.07.2010)

 

Die Pisa-Studie des Jahres 2000 schockierte Deutschland, weil 20 Prozent jedes Jahrgangs das Mindestziel verfehlten. Seitdem hat sich nicht viel gebessert, im Gegenteil. Eine hektische, meist ideologiegetriebene Schulreform, natürlich mit unterschiedlicher Zielsetzung in den 16 Bundesländern, jagt die andere auf dem Rücken der Schüler. Anstatt diesen 20 Prozent im „Bildungskeller“ gezielt zu helfen, wurde meist die Schulbürokratie aufgebläht. Dabei sind Schüler und Eltern in Bundesländern mit häufig wechselnden Regierungen besonders schlimm dran. Je nach ideologischer Ausrichtung der neuen Regierung wird das bisherige Schulmodell „verbessert“, noch bevor die ehemalige „Verbesserung“ sich auswirken konnte.

Die Schüler Bayerns und Baden-Württembergs haben in der neuesten Vergleichsstudie, die auf Länderebene als Nachfolger des PISA-Tests konzipiert ist, wieder am besten abgeschnitten. Schlusslicht in fast allen getesteten Bereichen ist Bremen. Nordrhein-Westfalen liegt meist im Mittelfeld.

Nordrhein-Westfalens Schüler haben schwere Zeiten hinter sich und die Aussichten sind alles andere als rosig. Rot-Grün ist 2005 in NRW auch wegen deutlicher und berechtigter Kritik an der Schulpolitik abgewählt worden. Die schwarz-gelbe Regierung hat eine unbefriedigende Schulpolitik folgen lassen. Nun will die rot-grüne Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die Linke in Nordrhein-Westfalen mindestens 30 Prozent der Haupt-, Realschulen und Gymnasien bis 2015 in Gemeinschaftsschulen umwandeln. Den Schülern und Eltern stehen bei dieser schulpolitischen Großbaustelle schwere Rot-Grün-Tiefrote Zeiten bevor.

Auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule, die aus Haupt-, Realschulen und Gymnasien gebildet wird, sollen in NRW die Handlungsmöglichkeiten der Kommunen erweitert werden. Das wird die Schulvielfalt in Nordrhein-Westfalen grotesk erweitern. Und Rot-Grün will ja keine Schulform abschaffen, sie „nehmen nur die Gymnasien mit hinein in die innovative Schulentwicklung“. Und sie glauben, dass das Gymnasium nicht abgekoppelt werden sollte von der sozialen Verantwortung. Es geht Rot-Grün - nach eigenem Bekunden - um eine attraktive Schule, die für alle Kinder ein vollständiges, umfassendes Schulangebot „inklusive gymnasialer Elemente“ bietet. Und das Schulsystem soll natürlich „gerechter“ werden, weil die Schüler nicht zu früh „ausgesondert“, „selektiert“ und „abgeschult“ werden sollen.

Schon allein die ideologische Diktion verrät den aus der Nach-68er-Ära überkommenen sozialromantischen aber leistungsfeindlichen Ansatz.

Dabei war NRW noch nie Vorreiter in der Qualität der Bildung. Vielmehr haben die Gesamtschulexperimente die Bildungsabschlüsse entwertet. Zur Rechtfertigung wird deswegen das „Märchen“ von der sozialen Undurchlässigkeit des dreigegliederten Schulsystems hartnäckig weitererzählt. Die Leistungen der Schüler in Bayern und BW sind aber nicht um so vieles besser als in NRW, weil es dort mehr Gesamtschulen oder ähnliche Fehlentwicklungen gäbe. Die Leistungen sind besser, weil am dreigliedrigen System festgehalten bzw. die gymnasiale Zeit von 8 oder 9 Jahren voll genutzt wird, so leistungsstarke Schüler besser gefördert werden können und weil man leistungsschwache Schüler in der für sie geeigneten Schulform gezielter fördern kann. Vielleicht sind aber die besseren Leistungen auch dadurch zu erklären, dass sich Eltern gegen grenzenlose Nivellierung wehren und noch mehr auf die Leistungen ihrer Kinder achten. Möglich ist aber auch, dass im Süden Deutschlands eher „bildungsferne“ Eltern wie früher sagen, „unsere Kinder sollen es einmal besser haben“ und selbst alles für eine vernünftige Erziehung, eine  frühkindliche Förderung und eine gute Schulausbildung ihrer Kinder tun. In den Familien fangen nämlich das Versagen und die Bildungsmisere an, weil die Eltern offenbar immer häufiger ihrem Erziehungsauftrag nicht entsprechend nachkommen.

Und was hat es mit Gerechtigkeit zu tun, wenn leistungsstarke Kinder aus Elternhäusern, die sich um Erziehung und Bildung bemühen, noch länger als während der vier Jahre in der Grundschule mit leistungsschwachen Schülern, teilweise ohne hinreichende Deutschkenntnisse, zum gemeinsamen Lernen gezwungen werden, unterfordert sind und sich langweilen. Wenn leistungsstarke Schüler nicht gefördert werden, sondern im „Einheitsbrei“ mitrudern müssen, dann wird die Studierfähigkeit unserer Abiturienten weiter abnehmen und wir werden noch mehr ausbildungsunfähige Lehrstellenbewerber aus den Schulen entlassen. Verantwortungsbewusste Eltern werden das nicht mitmachen, frühzeitig Ausbildungsversicherungen abschließen und ihre Kinder auf Privatschulen ausbilden lassen, weil diese Eltern wollen, dass ihre Kinder Schulen besuchen, wo Deutsch keine Fremdsprache für viele Mitschüler ist. Dann sind irgendwann die Leistungsschwächeren unter sich und die Stärkeren unter den Leistungsschwächeren werden die Reste „gymnasialer Elemente“ nutzen und die Abiturientenquoten der Gemeinschaftsschulen irgendwie erfüllen. Grausame Vorstellungen im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland.

Die Bildungsmisere wird noch dadurch verschärft, dass ca. 18 Prozent aller Neuntklässler in Deutschland einen Migrationshintergrund haben und davon wiederum bis zu 30 Prozent – allen voran türkischstämmige Schüler - die Schulausbildung ohne Abschluss beenden. Der Grund für diese schlimmen Ergebnisse sind meist mangelhafte deutsche Sprachkenntnisse, auch aufgrund unzureichenden deutschen Sprachgebrauchs in den Migrantenfamilien. Die Sprachförderung muss hohe Priorität bei unseren gemeinsamen Integrationsbemühungen haben.

Die Bildungsmisere in Deutschland ist so gravierend, dass mit teilweise ideologiebefrachteten Reformversuchen in 16 Bundesländern nicht abgeholfen werden kann. Wir brauchen keine 16 unterschiedlichen Bildungssysteme, sondern wir müssen den Bildungsföderalismus überwinden und in Deutschland eine Grundsatzdebatte über die Struktur des deutschen Bildungswesens führen und dann zu einem einheitlichen, zukunftsorientierten Bildungssystem finden. Dieses Bildungssystem muss die Bildungslandschaft von frühkindlicher Förderung über die frühkindliche Sprachförderung von Migrantenkindern, von einer leistungsorientierten Schulausbildung bis zur akademischen und nichtakademischen Berufsausbildung und von Elitenförderung bis hin zur deutlich verbesserten politischen Bildung unserer mündigen Bürger abbilden.

Leistungsunterschiede, persönliche Begabungen und die Erziehungs- und Bildungsvorstellungen des Elternhauses lassen sich nicht politisch über einen Kamm scheren. Es darf nicht um ungerechte Gleichmacherei, sondern es muss um Chancengerechtigkeit gehen in einem verlässlichen, qualitativ hochwertigen, allgemeinen deutschen Schulsystem.

Ziel darf nicht die Befriedigung politischer Vorstellungen von mit Minderheit Regierenden sein, sondern Ziel ist die beste und an der individuellen Befähigung orientierte Ausbildung der nachwachsenden Generationen. Wenn das nicht gelingt, ist der soziale Frieden gefährdet.

(15.07.2010)

 

 

 

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