Bürokratie im Einsatz
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Bürokratie im Einsatz

 

 

Großorganisationen sind bürokratisch.

 

Die Bundeswehr hatte als die Großorganisation Deutschlands in 50 Jahren viel Gelegenheit, eine gigantische Militärbürokratie aufzubauen, die auch das Detail in Vorschriften und Dienstanweisungen regelt. Dabei ist Bürokratie an sich noch nichts Schlechtes, denn sie gewährleistet einen geordneten und geregelten Dienst nach Recht und Gesetz. Und Militärbürokratie gibt dem, der damit umzugehen weiß und sich auskennt, Handlungssicherheit im normalen Friedensdienstbetrieb, einschließlich des der Abschreckung dienenden Übungsbetriebes in Zeiten des Kalten Krieges.

 

Das Schlechte an der Bürokratie erwächst und entwickelt sich aus dem Hang zum Perfektionismus, aus der Tendenz, alles bis ins Kleinste zu regeln und „gerichtstauglich“ abzusichern sowie aus dem Konzept, die Verhältnisse in den Streitkräften weitestgehend an das Zivilleben anzugleichen. Das führte dazu, dass das beklagenswerte Übermaß an Vorschriften und Normen unserer sehr komplexen Industriegesellschaft nahezu 1:1 auch in den Streitkräften abgebildet ist. Dazu kommen natürlich die militärischen Vorschriften und Normen, die Erziehung, Ausbildung, Führung und Einsatz der Bundeswehr bis hin zur Gewaltanwendung mit Kriegswaffen regeln. Da finden sich dann selbst Profis nicht immer zurecht.

 

Bürokratieabbau wird bundesweit und in allen Bereichen gefordert und auch versucht. Solche Bemühungen sind allerdings in der Regel nicht sehr erfolgreich, denn zum Abbau zu großer aber doch funktionierender Bürokratien braucht man auch die Bürokraten und die sind bei dieser Thematik immer sperrig und Neuem wenig aufgeschlossen. Denn es geht ja um den eigenen Apparat, „der immer schon so“ organisiert war, um das „eigene“ Personal und damit auch um „persönliche“ Macht. Der Abbau von Zivilpersonal in der Bundeswehr – hauptsächlich in der Wehrverwaltung – bietet ein Füllhorn von Beispielen.

 

Diese bürokratisch organisierte Bundeswehr war für ihren Beitrag zur atomaren Abschreckung gut ausgerüstet, gut ausgebildet und hielt durchaus professionell einen hohen Einsatzbereitschaftsstand, ohne je in Kampfhandlungen gefordert zu sein. Der Bundeswehr wird deswegen immer wieder zu Recht bescheinigt, dass sie ihren Auftrag gut ausgeführt hat.

 

Seit den neunziger Jahren ist die Bundeswehr eine inzwischen erfahrene „Armee im Einsatz“. Das Schlagwort fordert dazu heraus, nachzufragen. Wer ist in diesem Zusammenhang „Armee“? Was heißt „Einsatz“? Welche Erfahrungen wurden bisher gemacht?

 

Die „Armee“, die im Einsatz ist, ist ein relativ kleiner Teil der bürokratisch organisierten Bundeswehr. Es gibt viele in der Bundeswehr, insbesondere auch im Führungskorps, die noch keine Einsatzerfahrung sammeln konnten. Und wenn von den ca. 280 000 ungefähr 10 000 im Einsatz sind, und der Verteidigungsminister sagt, die Bundeswehr sei nun an der Grenze der Belastbarkeit angekommen, dann liegt das auch daran, dass das „Verwalten“ der Bundeswehr und das Organisieren des Friedensdienstbetriebes, gerade auch wegen des Übermaßes an Bürokratie, dem Rechnung getragen werden muss,  sehr viel Personal frisst. Der relativ kleine Teil der Bundeswehr, der sich im Einsatz befindet, unterliegt nun wiederum auch den in die jeweiligen Einsätze transferierten und verlängerten bürokratischen Auflagen und Richtlinien.

 

Vorbildlich wie deutsche Soldaten in jeder Hinsicht sein wollen, trennen sie Müll sehr konsequent, sie wenden alle Bestimmungen für den Kraftfahrzeugbetrieb auch im Einsatz an, sie unterhalten überall „Kreiskrankenhäuser“, die kaum ausgelastet sind, sie duschen nur mit 100 % Trinkwasserqualität, etc.,etc., etc.. Damit die Bürokratie auch im Einsatz stimmt, braucht man die entsprechenden Fachleute vor Ort, um die Richtlinien einhalten zu können, das kostet viel Personal. Und die Truppe im Einsatz wird ständig besucht – oder auch heimgesucht – nicht nur durch Politiker und Friedensvorgesetzte, sondern auch durch Inspizierungsteams aus der Heimat, die dann kontrollieren, dass die bürokratischen Richtlinien tatsächlich eingehalten werden. Das kostet viel Geld für Reisetätigkeit und bindet Einsatzpersonal in Vorbereitung, während und in der Nachbereitung der Inspektionen.

 

Dazu kommt der ausgeuferte Informationsbedarf – bis in kleine Details – des Parlamentes, der politischen Leitung und der militärischen Führung. Um diesen Informationsbedarf zu decken werden auch in internationalen Einsätzen große nationale Stäbe unterhalten, die zur eigentlichen Auftragserfüllung wenig beitragen.

 

So ist schon etwas dran, wenn von Kritikern vorwurfsvoll angemerkt wird, dass von 100 deutschen Soldaten im Einsatz ca. 90 nahezu nie das Lager verlassen.

 

In welchen „Einsätzen“ befinden sich die relativ kleinen Teile der Bundeswehr? Die Bundeswehr war bisher fast ausschließlich in friedenserhaltenden oder –gestaltenden Einsätzen. Aus kriegerischen Auseinandersetzungen wurden die Soldaten der Bundeswehr bisher ganz gezielt und bewusst herausgehalten. Da wird dann auch die „Dauerbelastung in gefährlicher Umgebung ohne Privatsphäre“ schon zur militärischen Extremsituation.

 

Welche Erfahrungen hat die „Armee im Einsatz“ also bisher gemacht?

Bisher hat die Bundeswehr sich hauptsächlich in gefährlicher Umgebung und unter teilweise schwierigen Rahmenbedingungen selbst organisiert und verwaltet, sowie das militärische Leben im Einsatz gestaltet. Die Bundeswehr denkt dabei eher in Kontingenten, also auf der Grundlage von Stellenbesetzungslisten befüllten Militärorganisationen, als in Einsatzverbänden. Das Ziel fast jedes Kontingentführers ist es, seine Soldaten nach vier Monaten wieder heil nach Hause zu bringen und das Leben im Einsatz noch besser zu organisieren und zu gestalten als das Vorgängerkontingent. Dabei bauen wir die Feldlager sehr groß, Kunduz hat die Ausmaße der Vatikanstadt, wir bauen perfekt aus, wir richten eine große Zahl von Betreuungseinrichtungen ein, die Betreuung der Betreuungseinrichtungen kostet wieder Personal, und immer ist die Tendenz erkennbar, sich überzuorganisieren und dabei gleichzeitig die Ansprüche der Soldaten ungesund zu steigern. Zu häufig wird dann die gut organisierte „Deckung“ bedeutungsvoller als die „Wirkung“.

 

Die Erfahrungen, die die Soldaten der Bundeswehr im Einsatz bisher machen konnten, sind gut und hilfreich. Erfahrungen, die in mannigfaltigen Standard Operating Procedures (SOP) festgeschrieben werden, führen zu Bewegungen im Einsatz auf stark eingefahrenen Gleisen. Wenn dann die Bewegungen in Routine erstarren, dann kann es im Einsatz schnell gefährlich werden. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die Soldaten der Bundeswehr im Einsatz ihren Auftrag größtenteils engagiert, professionell und anerkannt gut ausführen und einen wichtigen Beitrag zur jeweiligen Friedenserhaltung und –gestaltung leisten.

 

Was aber ist der jeweilige Auftrag der Soldaten im Einsatz? Was genau erwartet die Bundesrepublik Deutschland als militärische Leistung im jeweiligen Einsatz? Da liegen Probleme und da liegen auch Ursachen für Bürokratie im Einsatz.

 

Marc Weller, ein Dozent für Völkerrecht an der Rechtsfakultät der Universität Cambridge schreibt am 17.07.1995 in der FAZ unter der Überschrift  „In Bosnien ein diffuser Auftrag für Blauhelme und Nato“:

 

 

„Deutschland hat sich entschlossen, so wie es wohl nur die Deutschen können: In ernster Stimmung sind vom Bundestag die politischen und militärischen Gründe für und gegen den möglichen Bundeswehreinsatz im vormaligen Jugoslawien bis ins kleinste Detail erwogen worden. Man fabrizierte verwegene Szenarios und verwarf sie dann. Pazifisten gaben Gewissensbekenntnisse zu Protokoll. Außenminister Kinkel sprach von einer politischen Weichenstellung, die der Westbindung Adenauers oder der Ostpolitik Brandts nicht nachstehe. Nachdem die Entscheidung gefallen war, ergab sich die Opposition der historischen Stunde und stellte sich hinter die Soldaten für den Frieden, die nun den Marschbefehl ins Kriegsgebiet erhalten werden.

 

Eines allerdings ist verwunderlich. Bei soviel tiefgründigem Denken hat man anscheinend vergessen zu fragen, wozu genau die deutschen Soldaten denn nun eigentlich ermächtigt worden sind. Der Wortlaut des Antrags der Bundesregierung, der das Mandat für die deutschen Truppen enthält und mit überraschender Mehrheit angenommen wurde, ist nämlich so klar wie ein mit schwarzer Tinte gefülltes Wasserglas.“

 

Und er schließt seine Ausführungen:

 

„Wer da sagt, die Bundeswehr gehe mit genau definiertem Auftrag einem klaren politischen Ziel entgegen, der irrt sich.“

 

Diese kritische Sicht durch britische Brille macht das Problem deutlich, das wir seit 1995 mit Einsätzen der Bundeswehr haben. Als ich 1995 als erster Befehlshaber eines deutschen Kontingentes auf ehemals jugoslawischem Boden eingesetzt war, sollte ich ein deutsch-französisches Feldlazarett aufbauen und für die UN betreiben, sowie die Versorgung und Sicherheit der eingesetzten Soldaten gewährleisten. Ich hatte keinen konkreten operativen Auftrag, wohl aber eine „Dienstanweisung für den Kommandeur Deutsches Kontingent UNPF“, die hauptsächlich detaillierte organisatorische Vorgaben machte. Auf dieser Grundlage haben wir uns in Trogir bei Split organisiert, eingerichtet und in der vorgegebenen Zeit ein Feldlazarett einsatzbereit gemacht, der UN zur Verfügung gestellt und das Feldlager zu einem UN-Vorzeigeobjekt ausgebaut. Wir haben unseren Auftrag gut ausgeführt, hatten keine Verluste und waren stolz darauf.

 

So ging es weiter. Die eingesetzten Soldaten haben sich daran gewöhnt, Dienst im Einsatz ohne konkrete militärstrategische Zielsetzung und operative Vorgabe zu leisten. Wenn man allerdings keine eindeutigen militärstrategischen und operativen Vorgaben hat, dann kann man auch militärischen Erfolg nicht an dieser Latte messen und dann misst man Erfolg an der Qualität der organisatorischen Standards und der möglichst geringen Anzahl an Vorkommnissen. Das alles leistet der Bürokratie im Einsatz Vorschub.

 

Deswegen sind auch die Fragen von Kommentatoren und Kritikern durchaus berechtigt. Was genau wollten wir im Kongo politisch und militärstrategisch erreichen? Was genau wollen wir in Afghanistan?

 

Wenn es gelingt, eindeutig zu definieren, was Deutschland in welcher Zeitspanne in Krisengebieten wirklich und konkret mit dem Einsatz deutscher Soldaten erreichen will, dann gibt es auch eine Grundlage für operative Aufgabenstellungen.

Wenn sich das Parlament erfolgreich um die Definition einer solchen Zielsetzung bemühen würde, dann würde es seiner politischen Ebene entsprechend Verantwortung tragen und der Verteidigungsausschuss müsste nicht die weitgehenden Kompetenzen des Parlamentes gegenüber der Bundeswehr durch Ausübung von „quasi Kommandogewalt“ bis auf die taktische Ebene und bis in kleine Details strapazieren. Das ist Nährboden für Bürokratie im Einsatz.

 

Wenn die Bundeswehr im Einsatz an einem operativen Auftrag vor dem Hintergrund einer definierten militärstrategischen Zielsetzung gemessen wird, dann wird sie eher operieren als organisieren, dann geht Wirkung vor Deckung.

 

Wenn das Parlament, der Verteidigungsausschuss, die politische Leitung und Teile der militärischen Führung den bürokratischen Druck auf die „Armee im Einsatz“ reduzieren, dann baut sich solche personalfressende und die militärische Auftragserfüllung beeinträchtigende Bürokratie im Einsatz von selbst beginnend ab.

 

Bürokratieabbau im Einsatz wäre der Bundeswehr zu wünschen!

(31.10.2007)

 

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