Chefsache
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Chefsache  (28.01.2010)

 

Es ist gut und wichtig für Deutschland, dass die Kanzlerin die Afghanistanpolitik zur Chefsache gemacht hat.

Nach all dem politischen Stückwerk der letzten acht Jahre werden damit spät, aber endlich, die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Deutschland sich als gestaltendes Mitglied der NATO und der UN auswirken und ganzheitlich versuchen kann, der Bedeutung und Verantwortung der übernommenen Aufgabe in Afghanistan gerecht zu werden.

Der Versuch, die Lebensbedingungen der leidgeprüften afghanischen Bevölkerung in unserem Verantwortungsbereich zu verbessern, ist große Anstrengungen wert. Die Frage bleibt, ob wir politisch wirklich bereit sind, diese Anstrengungen auf uns zu nehmen. Die Regierungserklärung der Kanzlerin am 27.01.2010 mit der Zielsetzung „Übergabe in Verantwortung“ hat da viel Raum für Skepsis gelassen.

Aufgrund des politischen Stückwerkes der letzten zwei  Legislaturperioden sind sehr große Anstrengungen erforderlich, wenn denn die „Übergabe in Verantwortung“ wirklich verantwortungsbewusst im Sinne der afghanischen Bevölkerung, und nicht getrieben durch innen- und parteipolitische Taktierereien, in einem überschaubaren Zeitraum erfolgen soll.

Es ist vor Ort in Afghanistan durch die zivilen Aufbauhelfer, durch die Polizisten und durch die Soldaten der Bundeswehr viel Gutes für die Menschen geleistet worden. Aber aufgrund des unzureichenden politischen Stückwerkes hat sich die Lage im Norden Afghanistans  deutlich, teilweise dramatisch verschlechtert.

Die verantwortlichen deutschen Politiker haben – unzureichend und offensichtlich schlecht durch den damaligen Generalinspekteur beraten – spätestens ab 2006 die ungünstige Lageentwicklung nicht zur Kenntnis nehmen wollen, sie haben vielmehr die Lage beschönigt und die Öffentlichkeit unzureichend, wenn nicht unwahr, informiert. In Folge haben die verantwortlichen Politiker es versäumt, die politischen, juristischen und militärischen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Auftragserfüllung durch die Soldaten im Einsatz zu schaffen. Die Außenminister sind ihrer federführenden Verantwortung nicht gerecht geworden, die jeweils verantwortlichen Ressorts haben unkoordiniert nebeneinander her oder auch gegeneinander gearbeitet, der damalige Verteidigungsminister hat lauthals die Parole vom „vernetzten Ansatz“ verkündet, ohne diesen richtigen Ansatz auch nur im Ansatz zusammen mit Kabinettskollegen zu realisieren.  Die Kanzlerin hat das geschehen lassen und das Parlament hat zugeschaut, wie die Parlamentsarmee Bundeswehr den vom Parlament gegebenen Auftrag, Gewährleistung der Sicherheit und Schutz der Bevölkerung, nur sehr eingeschränkt und unzureichend erfüllen konnte.

Im Ergebnis hat die deutsche Politik durch unzureichende Bereitstellung von Mitteln den zivilen Wiederaufbau nicht stark genug vorangetrieben, die deutsche Politik hat keinen Beitrag zur Bekämpfung der Korruption und zur Reduzierung des Drogenanbaus geleistet - der Drogenanbau in Nordafghanistan ist vielmehr signifikant erweitert worden - die deutsche Politik ist der übernommenen Verantwortung für die Polizeiausbildung nicht gerecht geworden und bleibt bis heute hinter ihren personellen Versprechungen zurück. Und die politischen Rahmenbedingungen haben dazu geführt, dass die Bundeswehr sich in Nordafghanistan im Hinblick auf den Schutz der Bevölkerung als so überfordert zeigen musste, dass die amerikanischen Verbündeten das Vertrauen verloren haben und mit amerikanischen Truppen eigenständig im deutschen Verantwortungsbereich operieren, sowie jetzt massiv amerikanische Kampftruppen in Nordafghanistan stationieren. Und auch bei der afghanischen Bevölkerung  hat die Bundeswehr so massiv an Ansehen und Vertrauen verloren, dass  sich die Bevölkerung  unter dem „Schutz“ der Bundeswehr nicht mehr sicher fühlt und amerikanischen Schutz fordert bzw.  den Schutz in die Hände von Stammesmilizen legt, was die Lage möglicherweise weiter destabilisiert.

Die Taliban haben die politisch verursachte Schwäche der deutschen Sicherheitskräfte konsequent genutzt, sich im Norden konzentriert sowie gut organisiert und dominieren inzwischen die Regionen Nordafghanistans. Gerade heute (28.01.2010) berichtet der Generalanzeiger, Bonn, unter der Überschrift „Taliban vertreiben Welthungerhilfe“, dass die Hilfsorganisation ihr Engagement in Kunduz beendet, weil es dort zu gefährlich geworden ist. Diese Ergebnisse  unzureichender deutscher Politik sollten uns allen sehr peinlich sein.

Die politischen Bemühungen im Vorfeld der Afghanistan-Konferenz in London machen da Mut. Erstmals haben die Ressorts zusammengearbeitet, der Außenminister hat die Federführung übernommen, erstmals  wurde der Entwurf eines gesamtstrategischen Konzeptes für Afghanistan erarbeitet, Teilen des  Parlaments vorgetragen und ein solches Konzept zum Thema  einer Regierungserklärung der Kanzlerin gemacht,  als Grundlage für eine intensive Debatte im Plenum. Deutschland will diesmal bei der Konferenz nicht nur zuhören und mit Minimalkompromissen reagieren, sondern sich mit eigenen Vorstellungen in die Konferenz einbringen. Das sind erfreuliche politische Entwicklungen. Jetzt muss man die Ergebnisse der Konferenz und ihre Umsetzung in konkrete deutsche Politik abwarten. Die Skepsis aber bleibt und ist aufgrund der Regierungserklärung und der Äußerungen der Minister im Vorfeld auch berechtigt.

Außenminister  Westerwelle gefällt sich zunächst in publikumswirksamen Verweigerungsankündigungen, sucht lange nach seiner Position, legt sich dann frühzeitig  fest im Hinblick auf Truppenaufstockungen und versteift sich schließlich auf die Unterstützung  eines im Hinblick auf die erfolgreiche Realisierung höchst fragwürdigen Reintegrationsprogramms für Taliban--Mitläufer. Die Taliban werden die Diskussion mit Freude verfolgt haben und korrupte Beamte in der Administration werden die Möglichkeiten zusätzlicher Gewinne prüfen. Präsident Karsai - ein afghanischer Fuchs - hat eine Rübe hingehalten und die internationale Gemeinschaft ist der Illusion nur zu gerne gefolgt.

Entwicklungshilfeminister Niebel wird die zivile Aufbauhilfe nahezu verdoppeln und dort konzentrieren, wo Deutschland auch Verantwortung für die Sicherheit trägt. Das ist ein zielgerichteter und sehr positiver Ansatz, es ist aber offenbar noch keine konkrete Vorstellung dafür entwickelt,  was mit dem Mehr an Geld bis wann erreicht werden soll und wie die vielen Gelder die wirklich Bedürftigen erreichen soll.

Der Innenminister will die Anzahl der Polizeiausbilder erhöhen, hat das Konzept für die Ausbildung von 134 000 afghanischen Polizisten aber noch nicht mit den Ländern abgestimmt, die einen großen Teil der Polizeiausbilder zu stellen haben. Darüber hinaus ist noch nicht klar, wie man die ausgebildeten Polizisten, die ständig lukrativen Abwerbeangeboten der Taliban und Warlords  ausgesetzt sind, auch im afghanischen Polizeidienst halten will. Außerdem sind die Rahmenbedingungen für die Durchführung der verstärkten Polizeiausbildung auch in der Fläche unter stark verschlechterten Sicherheitsbedingungen noch nicht definiert.

Verteidigungsminister zu Guttenberg, der  bei der Bevölkerung auch so beliebt ist, weil er als Wirtschaftsminister, zum Beispiel beim Opel-Debakel, klar und ungewohnt mutig Stellung bezogen hat, ist nach  ersten Erfahrungen als Verteidigungsminister  - nach schneidigem Auftakt - offensichtlich eine gehörige Portion Schneid verloren gegangen. Das ist schade, denn gerade in der Afghanistanpolitik erwarten die Bürger inzwischen bei der Menge vielstimmiger, nicht stimmiger und teilweise auch naiver sowie unrealistischer öffentlicher Äußerungen der Vergangenheit von ihrem Hoffnungsträger klare und eindeutige Aussagen. Interviewaussagen erfüllen diese Hoffnung nicht.

Nur eines von vielen Beispielen: "Mehr Präsenz in der Fläche bedeutet dabei Nähe zu der afghanischen Bevölkerung, deren Schutz und gleichzeitige Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte statt offensiver Kampftruppen."  Was konkret sagt uns ein solcher Satz des Ministers?

Mehr Präsenz in der Fläche bedeutet noch nicht Nähe zur afghanischen Bevölkerung, wenn die Truppe sich nur in geschützten Fahrzeugen bewegen darf und diese kaum verlässt. Bisher hat die eingesetzte Truppe aufgrund fehlender Kampftruppen zu wenig Präsenz zeigen können und teilweise den Kontakt zur Bevölkerung in den Dörfern verloren. Mehr Präsenz in der Fläche bedeutet noch nicht Schutz der Bevölkerung, denn die Bevölkerung wird am besten dadurch geschützt, dass den Taliban das Handwerk gründlich gelegt wird, das geht nur mit deutlich mehr Kampftruppe und das darf ja offenbar nicht sein. Mehr Präsenz in der Fläche heißt keineswegs gleichzeitige Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte, wenn nicht zur Offensive gegen die Taliban befähigte Kampftruppen in der Fläche präsent sind und die Hauptlast der Ausbildung tragen. Denn die Afghan National Army (ANA) will im Norden nicht Logistiktruppen ausgebildet haben, sondern Infanterie-Bataillone, an denen es gerade in den Nordregionen dringend fehlt. Und die ANA braucht Ausbilder, die die Ausbildung als integrierte Partner auch im Einsatz gegen die Taliban fortsetzen und vervollständigen.

Man kann es drehen und wenden wie man will, für die angestrebte Ausbildung von 172 000 afghanischen Soldaten braucht man eine große Anzahl von Kampftruppenausbildern. Wenn man bisher nicht genug Kampftruppen hatte, um hinreichend Präsenz in der Fläche durch rege Patrouillentätigkeit zu zeigen, dann wird es auch nicht gelingen, die benötigten Kampftruppensoldaten aus den Kontingenten durch Umschichtung zu gewinnen. Von hinreichendem Schutz der Bevölkerung durch die verantwortlichen deutschen Sicherheitskräfte gegen mordende Taliban ist da noch nicht die Rede. Kurz, der Satz des Ministers ist nicht nur unklar, die Aussage  ist auch erkennbar nicht erfolgreich in die Tat umzusetzen.

 

Vielmehr lassen sich die undeutlichen, verklausulierten und nach allen Seiten abgesicherten Aussagen im Hinblick auf die von der NATO, von unseren amerikanischen Verbündeten, jetzt auch vom polnischen Außenminister und vor allem von den verantwortlichen deutschen Kommandeuren vor Ort geforderten Aufstockung, vornehmlich mit Kampftruppen,  so deuten:  Wir müssen gesichtswahrend etwas tun, um mehr als bisher zum Schutz der afghanischen Bevölkerung beizutragen, dazu brauchen wir eigentlich deutlich mehr und besser ausgerüstete Kampftruppen zur aktiven Bekämpfung der Taliban, das ist aber mit Herrn Westerwelle nicht zu machen und holt die SPD auch nicht zurück ins Konsens-Boot, deswegen scheint es am günstigsten, das gravierende Defizit "mangelnde Präsenz deutscher Truppen in den Dörfern der Region" irgendwie auszugleichen und das mit dem Ausgleich eines zweiten gravierenden Defizits "unzureichende Ausbildung von afghanischen Sicherheitskräften" zu verbinden. Es handelt sich nach meiner Beurteilung deswegen hier um nichts anderes als die Verklausulierung eines faulen politischen Kompromisses.

Die Kanzlerin trägt die Regierungserklärung relativ gelassen vor, bleibt aber insgesamt im Hinblick auf konkrete Zielsetzungen in den unterschiedlichen Politikfeldern sehr vage. Es wird nicht deutlich, was genau Deutschland mit dem verstärkten Engagement im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft in welcher Qualität, bis wann erreicht haben will. Es fehlen Messlatten für den Erfolg der Realisierungsschritte des Entwurfs unseres gesamtstrategischen Konzeptes. Und es fehlt die politische Definition der Qualität selbsttragender Sicherheit in Afghanistan, die eine „Übergabe in (wirklicher) Verantwortung“  möglich macht.

Es fehlt einfach die klare Aussage der Kanzlerin, dass wir nach all den Defiziten der Vergangenheit an sich dringend einen wirklichen vernetzten Kraftakt, eine deutliche Konzentration unserer an der realen Lage in Afghanistan orientierten Anstrengungen brauchen, um in einem vertretbaren Zeitraum (Außenminister: 2014?) unserer Verantwortung gerecht zu werden und uns aus Afghanistan zurückziehen zu können. Wunschdenken aufgrund einer offensichtlich fehlenden realistischen Analyse und entsprechend unehrliche Information der Öffentlichkeit scheinen weiter zu dominieren.

Wir haben noch kein wirkliches, kohärentes und tragfähiges gesamtstrategisches Konzept für das deutsche Engagement in Afghanistan.  Und zur erforderlichen Kraftanstrengung wird es voraussichtlich weiterhin aus innenpolitischen Gründen nicht kommen. Deswegen wird unser Engagement auch deutlich länger dauern als vorsichtig ins Auge gefasst, wenn wir es mit der „Übergabe in Verantwortung“ ernst meinen.

(28.01.2010)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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