"Gezieltes Toeten"
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„Gezieltes Töten“ (04.08.2010)

 

Deutschland hat auch eine schwierige Militär-Geschichte. Die starke Betonung des Militärischen in Preußen, der Erste Weltkrieg, der Nationalsozialismus und die Erfahrungen mit dem Zweiten Weltkrieg machen es verständlich, dass Nachkriegsdeutschland in großer Skepsis gegenüber allem Militärischen und mit dem Credo „Nie wieder Krieg“ lebte. Eine friedenseuphorische Grundstimmung beherrschte zumindest in den Anfangsjahren die Bonner Republik und im Bonner Hofgarten demonstrierten noch Anfang der 1980er Jahre Hunderttausende gegen Krieg und Aufrüstung.

Deswegen werden Themen wie Teilnahme an einem Krieg, militärische Gewaltanwendung, Kriegswaffeneinsatz verdrängt, verschleiert, beschönigt und „gezieltes Töten“ ist ohnehin ein Tabu.

Dabei wird in Afghanistan mit allen Konsequenzen Krieg geführt, die Bundeswehr hat beim Luftschlag von Kunduz gezielt getötet und es wird hohe Zeit, dass sich auch Deutschland konsequent den realen sicherheitspolitischen Anforderungen eines Kriegs-Einsatzes stellt.

Die Veröffentlichung von Geheimdokumenten durch WikiLeaks und andere Medien hat die Afghanistan-Diskussion selbst in der Sommerpause beflügelt, auch weil rot-grüne Politiker, die vor neun Jahren die Entscheidung für das deutsche Engagement getroffen haben und mit deutschen Truppen höchst blauäugig nach Afghanistan gegangen sind, den Geheimnisverrat missbrauchen und für populistische Mandatsbeendigungsankündigungen nutzen. Und die Diskussion um die Existenz und die Aktionen der Task Force 373 im deutschen Verantwortungsbereich haben natürlich den Grünen-Politiker Ströbele auf den Plan gerufen, um sich diffamierend über den Einsatz amerikanischer Spezialkräfte zu äußern und den Einsatz der deutschen Task Force 47 zu hinterfragen. Solche Aktionen stoßen natürlich auf breites öffentliches Interesse und beleben den Chor der „Kriegsgegner“ und Friedensaktivisten in einem Deutschland, in dem man Soldaten ungestraft als Mörder diffamieren kann. Soweit die realitätsferne Lage in Deutschland.

Aus den veröffentlichten Geheimdokumenten geht hervor, dass die Lage in Afghanistan ernster ist, als von vielen Politikern angenommen wurde. Aber auch das ist nicht wirklich neu, denn wer die Entwicklung einigermaßen aufmerksam verfolgt hat, der weiß, dass sich die Lage in neun Jahren nicht verbessert sondern verschlechtert hat. Insbesondere im Norden Afghanistans hat sich die Lage verschlechtert. Die Taliban haben sich im Großraum Kunduz inzwischen unter Ausnutzung der vorwiegend reaktiven Operationsführung der deutschen Truppen verstärkt, konsolidiert und beherrschen weite Teile der Region. Das ist hauptsächlich ein Ergebnis unehrlicher, halbherziger und unrealistischer deutscher Außen- und Sicherheitspolitik in Afghanistan.

Die Taliban führen einen Kleinkrieg mit Methoden des Partisanenkampfes, aus den Dörfern heraus, zum Teil versteckt hinter Zivilisten, und die Taliban haben die Initiative. Wenn man diese Lage wieder in den Griff bekommen will, muss man nach allen Regeln der Kunst und unter Nutzung aller gerechtfertigten Mittel die Taliban bekämpfen, zerschlagen und unwirksam machen. Das wird ohne „gezieltes Töten“ von Taliban nicht möglich sein. Und hier wird natürlich sofort die Frage gestellt, ob das mit dem Mandat des Bundestages für einen „Stabilisierungseinsatz“ vereinbar ist.

Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg sagt inzwischen, dass die Soldaten in Afghanistan unter „kriegsähnlichen Zuständen“ operieren. Mittlerweile spricht die Politik auch von einem „nichtinternationalen Konflikt“. Über den Stabilisierungseinsatz ist die Realität längst hinweggegangen. Und das Mandat des deutschen Bundestages lässt auch offensive militärische Gewaltanwendung zu, ohne dass die Politiker das offensichtlich so richtig realisiert haben.

 

Der Bundestag hat die Bundesregierung nämlich dazu ermächtigt, die Bundeswehr im Rahmen des Mandats des UN-Sicherheitsrats für die International Security Assistance Force einzusetzen. Danach ist den deutschen Soldaten der Einsatz aller Mittel gestattet, die erforderlich sind, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass die afghanischen Staatsorgane, das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal in einem sicheren Umfeld arbeiten können. Dabei hängt das erlaubte Maß militärischer Gewalt von der jeweiligen akuten Gefahr für die Sicherheit der Bevölkerung Afghanistans ab. Den im Rahmen von ISAF eingesetzten deutschen Soldatinnen und Soldaten sind also Befugnisse erteilt, die weit über bloße Notwehr- und Nothilferechte hinausgehen.

Da die Taliban nun auch im Norden Afghanistans nicht nur gelegentlich, sondern gut geplant und massiv Gewalt anwenden, ist die militärische Beurteilung folgerichtig, dass nur die offensive und nachhaltige Bekämpfung der Taliban die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung gewährleisten kann. Die innerstaatliche Krisensituation ist längst zum „nichtinternationalen bewaffneten Konflikt“ – allerdings mit internationaler Beteiligung - geworden, und deswegen dürfen militärische Mittel im Rahmen der jeweiligen Befehlslage nach Maßgabe des Rechts des bewaffneten Konflikts eingesetzt werden. Also Anwendung militärischer Gewalt unter Nutzung der verfügbaren Kriegswaffen nach allen Regeln militärischer Kunst? Kritiker werden „gezielte Tötung“ dadurch nicht abgedeckt sehen.

Was aber versteht man eigentlich in solchen Zusammenhängen unter „gezielter Tötung“? Soldaten der Bundeswehr werden durch intensives Schießtraining mit Handfeuerwaffen dazu ausgebildet, treffsicher zu schießen. Scharfschützen werden an Präzisionswaffen mit besonderen Zieleinrichtungen dazu ausgebildet, auch kleine entfernte Ziele mit hoher Treffgenauigkeit auszuschalten. Die Richtschützen von Panzern werden mit dem Ziel trainiert, gegnerische Panzer möglichst mit dem ersten Schuss zu zerstören, auch solche Panzer haben drei bis vier Mann Besatzung. Spezialkräfte werden so ausgebildet, dass sie in kritischen Situationen auch zur Vermeidung von Kollateralschäden und zivilen Opfern ihre Waffen absolut handhabungs- und zielsicher einsetzen können. Waffensystemoffiziere in Kampfflugzeugen werden dazu ausgebildet, mit ihren Lenkwaffen gegnerische Flugzeuge, einschließlich der Besatzung, abzuschießen. Und der wesentliche Zweck von U-Booten ist es, gegnerische Schiffe zu versenken, wobei der höchstwahrscheinliche Tod einer großen Anzahl von Menschen einzukalkulieren ist.  Soldaten werden an Kriegswaffen für die erfolgreiche Beteiligung an Kriegshandlungen ausgebildet. Im Krieg oder im bewaffneten Konflikt sind sie Kombattanten und setzen ihre Waffen hoheitlich ein. Und im Krieg ist gezielte Tötung deswegen nicht nur legitim sondern auch vernünftig, weil es beim gezielten Schuss darum gehen muss, den Gegner an der Nutzung seiner Waffen zu hindern, das ist am besten gewährleistet, wenn der Gegner durch einen gezielten Schuss getötet wird. Gegen solche kriegerischen Handlungen wird zurzeit nicht polemisiert, weil "normaler" militärischer Einsatz nicht oder nur gelegentlich zur Debatte steht. Es ist eher festzustellen, dass der gefühlsmäßig Unbehagen auslösende und ideologisch negativ belastete Begriff „gezieltes Töten“ parteipolitisch genutzt wird, um Stimmung zu machen. Dabei wäre eine Sachdiskussion gefordert.

Es löst in der deutschen Bevölkerung Unbehagen aus, wenn Israelis Terroristen gezielt töten, die Amerikaner mit Drohnen „Jagd auf Talibanführer machen“ oder gemeinsame Ziellisten der NATO erstellt werden, in denen hochrangige und hochgefährliche Taliban aufgeführt sind, um sie gefangen zu nehmen oder zu töten – capture or kill. Das wird dann in die Kategorie schmutziger Krieg eingeordnet und als „Mord“ diffamiert.

Und hier stellt sich natürlich sofort die Frage nach der Rechtmäßigkeit solcher gezielter Tötungen. Die Feststellungen des israelischen Gerichtshofes am 14.12.2006 helfen da weiter.

Die Richter sagen, dass sich Israel beim Kampf gegen internationalen Terror an internationales Recht halten müsse. Dabei müsse die Balance zwischen Sicherheitsbedürfnissen und Menschenrechten gewahrt bleiben. "Nicht jedes Mittel ist legal. Die Ziele rechtfertigen nicht die Mittel." Unter weiter „Das Recht für gezieltes Töten ist im gängigen internationalen Recht verankert und die Legalität eines jeden solchen Aktes muss daran gemessen werden.“ Nun ist es für die rechtliche Bewertung wichtig, wie der jeweilige Konflikt und folglich der Rechtsstatus der Konfliktteilnehmer definiert wird.

Im Kampf Israels gegen Terrororganisationen, so die Definition des Gerichtes, bestehe ein "bewaffneter Konflikt" mit internationalem Charakter, kein innerstaatlicher Konflikt. Deshalb gelte „Internationales Recht für bewaffnete Konflikte". Das unterscheide zwischen Kombattanten und Zivilisten. Während Kombattanten legitime Ziele für militärische Attacken seien, genießen Zivilisten Schutz für Leben, Freiheit und Eigentum. Mitglieder terroristischer Organisationen sind dabei keine Kombattanten, weil sie die Bedingungen für diesen Status nicht erfüllen, sie sind zur Gewaltanwendung nicht berechtigt. Deshalb sind sie Zivilisten. Internationales Recht versagt Zivilisten allerdings den Schutz, wenn sie sich an "Feindseligkeiten" direkt beteiligen. Direkt beteiligte Zivilisten verlieren zwar nicht ihren Zivilstatus, genießen aber auch nicht den garantierten Schutz. Sie riskieren, wie Kombattanten angegriffen zu werden, ohne Sonderrechte für Kombattanten zu haben, wie zum Beispiel Behandlung als Kriegsgefangener. Die Anwendung solcher Definitionen auf die Taliban ist sehr wohl gerechtfertigt, allerdings abhängig von einem festgestellten und anerkannten „Konfliktstatus“.

Nicht umsonst hat der Rechtswissenschaftler und frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz die Bundesregierung nach dem Luftschlag von Kunduz zu einer Klarstellung aufgefordert: "Offensive, gezielte Tötungen sind in einem Krieg legitim. Darum muss jetzt klargestellt werden, ob wir uns in Afghanistan in einem Krieg befinden… Wir dürfen die deutschen Soldaten nicht weiter in rechtlicher Unsicherheit lassen. In einem Krieg gibt es Angriff und Verteidigung, und eine gezielte Tötung ist ein Angriff." Auch zahlreiche andere Rechtswissenschaftler teilen diese Ansicht.

Wenn sich die Soldaten der ISAF bei ihrem Kampf gegen die Taliban in einem "bewaffneten Konflikt" mit internationalem Charakter befinden, dann ist die gezielte Tötung von Talibanführern, die sich an den Feindseligkeiten als Führer natürlich direkt beteiligen, legal. Darüber hinaus kann die gezielte Tötung von Talibanführern auch zweckmäßig, taktisch klug und effizient sein. Denn durch mehrfache gezielte Tötung gefährlicher hochrangiger Taliban wird den Terrorgruppen der Kopf genommen, die Terroristen werden verunsichert, die Bereitschaft, ggf. die Seiten zu wechseln oder zu verhandeln, steigt, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wächst wie auch das Vertrauen in die internationalen Truppen. Solche Aktionen verringern auch die Gefechtshäufigkeit und das Verlustrisiko der eigenen Truppe. Natürlich muss bei diesen Operationen genau beobachtet und beurteilt werden, ob und ggf. unter welchen Bedingungen gezielte Tötungen von Taliban zur Eskalation der Lage beitragen können. Nur eines ist eindeutig, nämlich wenn durch gezielte Tötung eines gefährlichen Talibanführers verhindert werden kann, dass Selbstmordattentäter auf seinen Befehl hin ungezielt auch unschuldige Kinder mit in den Tod reißen können, dann hat sich die Aktion gelohnt.

Jetzt wo die Diskussion um gezieltes Töten in Konflikten angestoßen ist, sollte sie auch sachorientiert fortgeführt werden. Der neue Oberbefehlshaber ISAF, General Petraeus hat eine intensivierte Bekämpfung der Taliban angekündigt. Das deutet darauf hin, dass aufgrund des durch politische Ankündigungen erzeugten Zeitdruckes und des nur eingeschränkten bisherigen Erfolges eine Schwerpunktverlagerung hin zu verstärkter Terroristen-Bekämpfung (Counterterrorism) stattfindet, und das würde auch eine intensivierte gezielte Tötung von Taliban-Führern – zumindest von Seiten der Amerikaner - zur Folge haben. Da die Bundeswehr im Norden Afghanistans intensiv mit den US-Truppen zusammenarbeitet, betrifft uns das direkt. Und vor ungefähr einem Monat erwähnte Verteidigungsminister zu Guttenberg „Nachsorgeoperationen“, die man für Afghanistan in Erwägung ziehen solle. Dazu gehöre „die internationale Koordination des Einsatzes von Nachrichtendiensten und Spezialkräften“. Solche Nachsorgeoperationen werden mit Beginn der Ausdünnung der internationalen Truppenpräsenz ab 2011 und dann besonders nach 2014 relevant werden, wenn man diese propagierten Daten für die Reduzierung des internationalen Afghanistan-Engagements zugrunde legt.

Nach 2011 und 2014 wird die internationale Staatengemeinschaft sich dann auf all den Feldern engagieren müssen, in denen die afghanischen Sicherheitskräfte aufgrund ihrer Organisation, Ausbildung, Ausrüstung und Bewaffnung noch nicht leistungsfähig genug sind, um selbständig die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung zu gewährleisten. Dann wird es darauf ankommen, mit möglichst wenigen hochspezialisierten internationalen Kräften der Hauptgefahr für die Sicherheit, dem Wiedererstarken der Taliban, wirkungsvoll und effizient zu begegnen. Das geht nur mit intensiven Maßnahmen des Counterterrorism und dazu gehört natürlich auch das gezielte Töten hochrangiger und hochgefährlicher Talibanführer. Da hilft kein deutsches Leugnen und Verdrängen. Deutschland wird sich vielmehr bei der Nachsorge in seinem Verantwortungsbereich voll engagieren müssen. Dafür brauchen die eingesetzten deutschen Staatsbürger Rechtssicherheit und Deutschland eine an Realitäten und konkreten Zielen orientierte Außen- und Sicherheitspolitik.

Der Kampf einer Demokratie oder einer Staatengemeinschaft gegen Terror muss natürlich im Rahmen der Gesetze geführt werden. Die Staaten müssen aber auch bereit sein, den Spielraum solcher Gesetze zur Erreichung der definierten Ziele voll auszunutzen. Verantwortungsethik muss über der Gesinnungsethik stehen.

(04.08.2010)

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