Konsens der Demokraten
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Konsens der Demokraten (21.12.2009)

 

 

Unser Engagement in Afghanistan berührt die deutschen Bürger zunehmend. Dieses wichtige Thema wird allerdings politisch nicht sachgerecht sowie angemessen behandelt und diskutiert.

Eine Stärke deutscher Außen- und Sicherheitspolitik war es immer, dass die demokratischen Parteien einen sehr weitgehenden Konsens – insbesondere im Hinblick auf Einsätze der Bundeswehr - gepflegt haben. Solcher Konsens ist wichtig, insbesondere weil unsere Soldaten den Rückhalt zumindest des deutschen Bundestages für ihre Einsatzaufträge von positiven Abstimmungsergebnissen mit großen Mehrheiten ableiten. Solcher Konsens der Demokraten verführt natürlich auch dazu, dass man mehrheitlich die an sich erforderlichen wiederholten, in der Sache tiefgreifenden, die Probleme auslotenden und die deutschen Interessen kritisch hinterfragenden Debatten im Parlament vermeidet.

Im Hinblick auf Afghanistan haben die Abgeordneten einen solchen, Sachdebatten vermeidenden, „Minimalkonsens“ gefunden und sich hauptsächlich mit der Festlegung von Obergrenzen für unser militärisches Engagement begnügt.

Dieses inzwischen achtjährige Versäumnis in mehr als zwei Legislaturperioden wirkt sich bis heute sehr negativ auf wirkliche Erfolge unseres Engagements aus. Sollten die Ereignisse um den Luftschlag von Kunduz am Ende doch noch eine an der Sache orientierte Debatte auslösen, dann wäre das von großem Vorteil, allerdings muss die Frage gestellt werden, ob es für solche Diskussionen, auch mit der Öffentlichkeit, nicht zu spät wird oder schon zu spät ist.

Solche politischen Versäumnisse führen zu gravierenden Defiziten.

 

  • Deutschland hat keine klar definierten Ziele für sein politisches Engagement in Afghanistan. Anfänglich wollten wir uns auf der Grundlage des UN-Beschlusses solidarisch daran beteiligen, Al-Qaida zu zerschlagen. Als Deutschland festgestellt hat, dass Präsident Bush „Krieg“ gegen Al-Qaida führen will, haben wir noch einige Zielsetzungen nachgeschoben wie „Demokratie aufbauen“, „Good Governance“, Unterstützung beim Aufbau des Landes“ etc. und Deutschland hat, innenpolitisch motiviert, der Bundeswehr in Afghanistan das politische Image eines bewaffneten Technischen Hilfswerks verpasst und „Brunnenbohren“ in den Vordergrund gestellt.

 

  • Deutschland hat für das Afghanistanengagement kein gesamtstrategisches Konzept entwickelt und vom Parlament als Grundlage für politische Entscheidungen verabschieden lassen. Deutschland hat also nicht nur keine eindeutigen politischen Ziele, Deutschland weiß auch nicht, was es genau mit welchen Kräften und Mitteln bis wann erreicht haben will. Deutschland hat zwar das Schlagwort von der „Übergabe in Verantwortung“, wir haben aber nicht definiert, welche Standards in den unterschiedlichen Politikfeldern erreicht sein müssen, um die Übergabe von Verantwortung an Afghanistan verantworten zu können.

 

  • Deutschland hatte anfänglich die Verantwortung für den Aufbau der afghanischen Polizei übernommen, hatte aber auch dafür kein tragfähiges Konzept, wurde in dieser Verantwortung von der EU abgelöst und stellt bis heute nicht die politisch zugesagte Anzahl von Polizeibeamten. Auch über diese peinliche Angelegenheit fand keine öffentliche Diskussion und keine Debatte im Bundestag statt, und keiner hat die Innenminister Schily und Schäuble zu einer Erklärung im Parlament aufgefordert.

 

  • Deutschland leistet Entwicklungshilfe sowie Aufbauarbeit und unterstützt Regierungsorganisationen und NGOs. Es ist aber kein Konzept bekannt, das die Anstrengungen der Aufbauhelfer der unterschiedlichen Organisationen grundsätzlich koordiniert. Bekannt ist, dass viel zu wenige zivile Helfer eingesetzt sind, dass NGOs sich teilweise durch den Einsatz der Bundeswehr beeinträchtigt sehen aber gleichzeitig Aufbauhelfer aufgrund der stark verschlechterten Sicherheitslage im Raum Kunduz ihrer Arbeit nicht mehr nachkommen können. Diese unzureichende deutsche Aufbauleistung war bisher kein Kreuzverhör der Entwicklungsminister im Parlament wert.

 

  • Deutschland hat über mehr als zwei Legislaturperioden die Bevölkerung über Sinn und Zweck des Afghanistaneinsatzes unzureichend sowie teilweise beschönigend oder auch unwahr informiert, zur Vermeidung von innenpolitischen Schwierigkeiten die deutliche Verschlechterung der Sicherheitslage ignoriert und es auch dadurch versäumt, lageangemessene politische, juristische und militärische Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Auftragserfüllung unserer Soldaten in Afghanistan zu schaffen. Das Parlament ist so seiner Verantwortung für die Parlamentsarmee Bundeswehr nicht gerecht geworden.

 

Die Liste solcher Defizite lässt sich leicht und deutlich erweitern. Doch schon die genannten Defizite führen dazu, dass das deutsche Afghanistanengagement zu scheitern droht. Die verantwortlichen Politiker wissen das. Deswegen heißt es auch im Koalitionsvertrag: Deutschland bekräftigt seine „Verlässlichkeit als gestaltendes Mitglied  in der Nordatlantischen Allianz und den Vereinten Nationen. Die Bundesregierung wird auch weiterhin einen der Bedeutung dieser Aufgabe angemessenen Beitrag leisten.“ Und weiter „Wir wollen die ressortübergreifenden Anstrengungen der Bundesregierung bündeln und das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung mit konkreten Vorgaben umsetzen.“ Das klingt zunächst gut, denn man will sich für das derzeit wichtigste sicherheitspolitische Engagement mit angemessenen Kräften und Mitteln beteiligen, man will gestalten und man will sich endlich ressortübergreifend einbringen. Natürlich braucht die schwarz-gelbe Koalition dafür Zeit, aber die interessierte Öffentlichkeit müsste schon die ersten Ansätze dieser richtigen Politik zur Aufarbeitung der achtjährigen Defizite erkennen können. Für die Öffentlichkeit erkennbar tut sich nichts, bzw. viel zu wenig. Und für die schnelle und zeitgerechte Aufarbeitung der langjährigen Defizite ist der Konsens der Demokraten erforderlich. Realität ist das krasse Gegenteil. Deswegen kann die FAZ auch in der vergangenen Woche titeln: „Kriegsähnliche Zustände in Kundus und Berlin“.

Statt an der Afghanistan-Konferenz „gestaltend“ teilzunehmen, sind wir immer noch konzeptionslos nicht in der Lage, unsere zukünftigen Beiträge zu formulieren und verweisen auf die NATO-Konferenz im Januar. Der Außenminister macht schon einmal – ohne sich auf einen Konzeptionsentwurf abstützen zu können - deutlich, dass er die Verstärkung der zivilen Anstrengungen für wichtiger hält als militärische Verstärkung. Der Populist Seehofer hält gedankenlos eine Verstärkung der deutschen Truppen in Afghanistan nicht für erforderlich.

Statt die erforderlichen sicherheitspolitischen Diskussionen zu führen, leistet sich das deutsche Parlament eine peinliche und niveaulose Debatte, bei der der Konsens der Demokraten verloren zu gehen droht. Für jeden Bürger erkennbar wird mit dem einzigen innenpolitischen Ziel debattiert, den zu beliebten, zu eloquenten, zu kommunikativen und eine zu gute politische Figur machenden Verteidigungsminister, der die Versäumnisse endlich und erkennbar aufarbeiten will, abzuschießen. Und Kanzlerin Merkel lässt es laufen oder stagnieren -  je nachdem.

Statt dem Verteidigungsminister Zeit einzuräumen, die dringenden sicherheitspolitischen Arbeiten nun endlich auf den Weg zu bringen, wird er in zeit- und kräftezehrende persönliche Abwehrgefechte gezwungen.

Statt die beim Auswärtigen Amt liegende Federführung für die „ressortübergreifenden Anstrengungen der Bundesregierung“ wahrzunehmen und konkrete Vorgaben für das dann erste gemeinsame Afghanistan-Konzept zu formulieren, setzt Minister Westerwelle die Tradition seiner Vorgänger fort und findet in Afghanistan betreffenden sicherheitspolitischen Diskussionen nicht maßgebend statt.

Statt den Verteidigungsausschuss die dringenden Arbeiten an einem ressortübergreifenden Afghanistan-Konzept parlamentarisch begleiten zu lassen, ist er auf nicht absehbare Zeit als Kundus-Untersuchungsausschuss weitgehend blockiert.

Anstatt die von der NATO geforderten zwei Kampftruppenbataillone vorsorglich für den Afghanistaneinsatz ausbilden zu lassen, verweist Verteidigungsminister zu Guttenberg – grundsätzlich richtig – auf die zunächst erforderliche strategische Grundlage, die er jetzt erarbeiten lässt, von ressortübergreifenden Anstrengungen ist da keine Rede. Und der SPD-Vorsitzende glaubt die Seele seiner „geschundenen“ und vom Volk nicht mehr so recht geliebten Volkspartei streicheln zu müssen und verkündet, dass eine Aufstockung über 4 500 Soldaten mit der SPD nicht zu machen ist. Ob diese Aussage sinnvoll ist, ob sie verantwortbar ist im Hinblick auf die erfolgreiche und möglichst sichere Auftragserfüllung der vom Parlament nach Afghanistan geschickten Soldaten, ob Aufbauarbeit im Raum Kunduz angesichts der verschlechterten Sicherheitslage ohne deutliche Verstärkung mit Kampftruppe überhaupt noch möglich ist und wie „Übergabe in Verantwortung“ realisiert werden soll, interessiert Herrn Gabriel in diesem Zusammenhang wohl nicht. Den Fraktionsvorsitzenden der SPD Steinmeier, der ja die Afghanistanpolitik in der großen Koalition federführend hätte gestalten sollen und die reale defizitäre Politik vollinhaltlich mitgetragen hat, sollte das allerdings schon interessieren. Das wird in einem SPD-Hinterzimmer geklärt werden. Da gehören SPD-Querelen sicher hin, nicht aber Afghanistan.

Die Lage in Afghanistan ist insgesamt verfahren und das Engagement der westlichen Welt droht zu scheitern, wie auch unser Engagement im Norden dieses geschundenen Landes. Für politische Korrekturen ist es nahezu zu spät, denn die Taliban haben massiv Einfluss zurückgewonnen und es wird sehr schwer werden, wenn es nicht schon unmöglich ist, diesem Einfluss den Boden zu entziehen. Es wird höchste Zeit, dass alle Verantwortlichen genau wissen, was wir in Afghanistan erreichen wollen. Die langjährigen Defizite sind mit ein paar gut formulierten Schlagworten nicht zu beheben. Deutschland muss definieren, was in Afghanistan in deutschem Interesse zu leisten ist und das dann mutig entscheiden – auch wenn es nicht dem mehrheitlichen Gefühl der Bürger entsprechen mag. Dazu müssen die Parteien zum Konsens der Demokraten zurückfinden.

Solch ein politischer Mut ist gefragt – aber leider noch nicht deutlich erkennbar. Deswegen werden die in Afghanistan dringend erforderlichen deutschen Truppenverstärkungen zum Nachteil unserer Soldaten und des Aufbaus sowie unserer Reputation im Bündnis noch sehr lange auf sich warten lassen.

(21.12.2009)

 

 
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