Militarisierung der humanitären Hilfe
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„Militarisierung“ der humanitären Hilfe? (28.01.2010)

 

 

Tsunamis und Erdbeben wird es immer geben. Die zeitgerechte Warnung der Menschen ist nicht immer möglich. Deswegen müssen wir uns auf schnelle Hilfe bei Katastrophen durch die internationale Staatengemeinschaft verlassen und wir müssen die Organisation koordinierter und effektiver Hilfsmaßnahmen vorbereiten.

Das ist sehr viel leichter gesagt als realisiert, denn das „normale“ Chaos beim Anlaufen massiver humanitärer Hilfe hat viele Ursachen.

Eine höchst erfreuliche Ursache von „Chaos“ ist die immense Hilfsbereitschaft  der internationalen Staatengemeinschaft, der vielen staatlichen und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen und der vielen Menschen, die über Spendenkonten, Galas und unzählige Charity-Veranstaltungen Geld spenden. Wellen der Hilfsbereitschaft wachsen zu Fluten und kleinen Hilfs-Tsunamis, die nicht leicht in den Griff zu bekommen sind. Weil diese an sich schöne Erfahrung nun schon sehr häufig zu machen war, sollten wir auch besser darauf vorbereitet sein, dass die große Hilfsbereitschaft sich auch im Katastrophengebiet bedarfsorientiert in schnelle konkrete Hilfe umsetzen lässt.

Die Vereinten Nationen sind normalerweise für die Koordination der humanitären Hilfe vor Ort zuständig und dafür haben sie auch organisatorisch vorgesorgt. Die UN verfügen aber in der Regel nicht über eigene Kräfte, um schnell und wirksam größere Koordinationsaufgaben wahrnehmen zu können. Die UN sind eher in der Lage, in einer stabilisierten Hilfssituation die längerfristige  Koordination der Hilfsmaßnahmen und der Aufbauarbeiten zu übernehmen.

Wie beim Tsunami 2005 so auch beim Erdbeben auf Haiti wurde die Koordination der Hilfsmaßnahmen durch Militär übernommen, weil keine andere Institution über die Kräfte und Mittel verfügt, um Ordnung in das „normale“ Chaos zu bringen, die öffentliche Ordnung wieder herzustellen und die Hilfsmaßnahmen unter den Bedingungen von Recht und Gesetz wirksam werden zu lassen. Statt sich über die notwendige Unterstützung zu freuen und Maßnahmen zu begrüßen, die die eigene Hilfsbereitschaft erst zum Tragen bringt, bricht ein kleiner Sturm ideologisch begründeter Entrüstung los.

Ein US-amerikanischer  Menschenrechtler bemängelt noch in einem Stadium, in dem auf dem Flugplatz von Port au Prince noch das blanke Chaos herrscht, den starken Militäreinsatz der Vereinigten Staaten nach dem Erdbeben in Haiti. „Die Hilfsmissionen drohen zu militärischen Stoßtrupps zu werden; die Hilfe wird militarisiert“. Dieser   Slogan von der Militarisierung der humanitären Hilfe wird natürlich vielfältig aufgegriffen und kolportiert. Das Ganze gipfelt dann in der Fragestellung: „Ist dies eine humanitäre Hilfe oder eine Invasion?“ Solche ideologisch begründeten Verunglimpfungen helfen nicht, das Chaos zu beherrschen, sie schaden eher der Koordination der Hilfsmaßnahmen und damit den notleidenden Menschen.

Insbesondere die nichtstaatlichen Hilfsorganisationen sollten sich einmal nüchtern die Frage stellen, wer eigentlich über die erforderlichen Kräfte und Mittel verfügt, um chaotische Zustände zu bewältigen. Militär verfügt über Strukturen, die nicht nur komplexe Organisationsaufgaben leisten können, sondern das auch in weltweiten Einsätzen mehrfach unter Beweis gestellt haben. Militär ist nicht nur bewaffnet und kann dadurch bei Versagen der öffentlichen Ordnung im Katastrophengebiet für Hilfsmaßnahmen unter den Bedingungen von Recht und Gesetz sorgen, Militär verfügt  auch über mobile Führungs- und Fernmeldesysteme und die entsprechenden Fahrzeuge, um Hilfe zu organisieren und zu koordinieren. Militär verfügt auch über vielfältige logistische Erfahrungen, die in Katastrophensituationen genutzt werden können. Und wer sonst als Militär verfügt über Flugzeugträger mit dringend benötigten Hubschraubern, über Versorgungs- und Lazarettschiffe. Und wer anders als militärische Organisationen kann einen internationalen Flugplatz sowie Hafenanlagen wieder betriebsfähig machen und für großangelegte Hilfsmaßnahmen betreiben?

Vor einem solchen Hintergrund sind Aussagen südamerikanischer Politiker, die selbst nur eingeschränkt in der Lage sind, in ihren eigenen Staaten für gute und zukunftsorientierte Lebensbedingungen ihrer Bürger zu sorgen, nur schwer zu ertragen. „Die Präsenz der US-Armee käme einer militärischen Intervention gleich, die sich schnell zu einer "permanenten Besetzung" entwickeln könne“, warnte Boliviens Vizepräsident Alvaro García Linera. Und "Wir sind über diese US-amerikanische Militärintervention besorgt, weil dort Truppen sind, die keine Hilfsaktionen ausführen, die keine Leben retten, keinen Schutt beseitigen, keine Leichen bestatten“. Er befürchte, dass die USA die Lage ausnutzten, um eine dauerhafte Armeepräsenz in Haiti zu etablieren. Ähnliche Kritik kam aus Venezuela und Nicaragua. Die Entsendung der US-Armee sei "unlogisch", bemängelt  Nicaraguas Präsident Daniel Ortega: "Haiti bittet um humanitäre Hilfe, nicht um Soldaten".

Ideologisch bedingte politische Rivalitäten und Eifersüchteleien sowie mangelnde oder unzureichende Bereitschaft einer ganzen Reihe von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, mit Militär zusammenzuarbeiten, und  tiefsitzende Berührungsängste sind gravierende Hindernisse  bei der Organisation und Koordination von Hilfsmaßnahmen in Katastrophenfällen, aber auch in den Einsatzgebieten der internationalen Staatengemeinschaft. Solche Hindernisse sollten im Interesse notleidender Bevölkerungen überwunden werden. Das ist eine schwierige aber eine lohnende Aufgabe.

Ungeachtet solcher ideologischer und psychologischer Hindernisse sollten die Staaten und ihre staatlichen Hilfsorganisationen schnelle und effektive Hilfsmöglichkeiten optimieren. Die internationale Staatengemeinschaft sollte sich darauf verständigen, dass die Staaten nach einem internationalen „Alarmkalender“ Militärorganisationsbausteine für humanitäre Hilfsmaßnahmen mit schneller Verfügbarkeit in einem hohen Einsatzbereitschaftstand halten. Solche Truppenteile müssen dann in der Zeit ihrer Verfügungsbereitschaft die Zusammenarbeit mit zivilen Hilfsorganisationen intensiv üben, die effektive Kooperation von Hilfsmaßnahmen mit staatlichen Hilfsorganisationen vorbereiten und nichtstaatliche Organisationen für die Zusammenarbeit interessieren. Dazu gehört auch, dass die Akteure sich kennen und die gegenseitige Unterstützung mit kompatibler Ausrüstung, insbesondere mit Führungs- und Fernmeldesystemen und Verfahren abgesprochen ist.

Hier geht es dann nicht um die Zivilisierung des Militärs oder die Militarisierung humanitärer Hilfe sondern um organisierte  schnelle und effektive Zusammenarbeit in Katastrophenfällen zum  Wohle hilfsbedürftiger Menschen. Das wäre alle Anstrengungen und auch die Überwindung von Vorurteilen sowie Berührungsängsten wert.

(28.01.2010)

 

 

 

 

 

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