Primat der Politiker
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Primat der Politiker (27.08.2010)

 

Bundespräsident Wulff sorgt sich um das Ansehen und den Ruf deutscher Politiker und sagt: „Heute begleitet auch die Politiker viel Häme, viel Spott und viel Misstrauen – mehr als früher, und das kann so nicht bleiben“. Der Bundespräsident sieht daher bei sich die Aufgabe, zwischen Bürgern und Politikern zu vermitteln. Man kann ihm da nur viel Erfolg wünschen, aber reichen werden seine Vermittlungsbemühungen nicht, denn vor allem das Misstrauen gegenüber Politikern ist selbstverschuldet. Deswegen müssen zunächst die Politiker daran arbeiten, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Und das wird sehr schwer werden, weil die Politikverdrossenheit der Bürger tief sitzt, Umfrageergebnisse, zunehmendes Desinteresse und vor allem rückläufige Wahlbeteiligungen belegen das eindrucksvoll. Und da Politikverdrossenheit an einer ganzen Reihe von Namen festzumachen ist, kann man durchaus folgern, dass die eigentliche Ursache von Politikverdrossenheit Politikerverdruss ist.

Warum sind so viele Bürger mit Politikern unzufrieden? Bürger erwarten von den auf Zeit gewählten Volksvertretern eine starke moralische und fachliche Kompetenz. Die Bürger wollen keine beliebigen, wetterwendischen, von Beliebtheitsgraden und Umfragewerten getriebenen Talkshow-Politiker, sondern aussagefähige Volksvertreter, die der Verantwortung für ihr Mandat voll gerecht werden und die Überzeugungen haben, für die sie standhaft einstehen. Das Volk will von glaubwürdigen Politikern ehrlich informiert werden. Die Wähler erwarten, dass die Parlamentarier sinnvolle Gesetze verabschieden, die auch Bestand haben. Die Bürger wollen politische Persönlichkeiten, die ein einfaches Steuersystem nicht nur auf einem Bierdeckel skizzieren, sondern die es auch verantwortungsbewusst realisieren. Und der eigentliche Souverän, das Volk, will von Staatsmännern und Staatsfrauen geführt werden, zu denen es aufschauen kann. Politiker, die solchen Erwartungen, Wünschen, Vorstellungen, Ansprüchen und berechtigten Forderungen genügen, haben wir in Deutschland nur wenige. Auf Persönlichkeiten, die als Staatsmänner oder -frauen gelten könnten, müssen wir zurzeit in der aktiven Politik ganz verzichten.

Der Politikerverdruss ist also begründet und Politiker sind nicht die, zu denen man aufschaut, sondern „die da oben“ und "die" scheinen den Primat der Politik nicht zu rechtfertigen.

Kein Bereich unseres Staatswesens unterliegt in stärkerem Maße dem Primat der Politik als das Militär. Das ist nicht nur durch Misstrauen gegenüber dem Militär nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und des Dritten Reiches begründet, sondern geht auf den Militärphilosophen Clausewitz zurück, der vom absoluten Primat der Politik spricht, dem sich ein Oberbefehlshaber auch im Krieg zu beugen habe. Der Vorrang der Politik vor dem Militärischen wird nicht als Einschränkung empfunden, sondern ist heute unabdingbar ein Teil des demokratischen Verständnisses der Staatsbürger in Uniform. Der Primat der Politik selbst hat aber grundsätzlich eine dienende Funktion und darf keine Einbahnstraße sein, denn die Soldaten haben sich keinem politischen Dirigismus absolut zu unterwerfen sondern haben in der Parlamentsarmee Bundeswehr ein Recht darauf, von Politik gut und sachgerecht „geführt“ zu werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Parlamentarier dem hohen Anspruch an ethischer und fachlicher Kompetenz, der mit dem Primat der Politik verbunden ist, wirklich gerecht werden. Ohne hohe Sachkompetenz werden die Entscheidungsträger in der Sicherheitspolitik keine sach- und fachgerechten politischen Vorgaben für militärisches Handeln machen können.

In der sicherheitspolitischen Praxis bedeutet Primat der Politik, dass Bundestag und Bundesregierung entscheiden und die Bundeswehr klag- und widerspruchslos umsetzt, was von ihr verlangt wird. Dabei fühlen sich militärische Führer teilweise so sehr und absolut dem Primat der Politik unterworfen, dass sie dirigistische politische Detailregelungen militärischer Sachverhalte widerspruchslos akzeptieren und darauf verzichten, mit militärischem Sachverstand zu beraten.

Das hatte und hat zur Folge, dass die politischen Entscheidungsträger teilweise nicht sachgerecht mit der Bundeswehr umgegangen sind und Entscheidungen zu Lasten der Soldaten getroffen haben. Dieser nicht sachgerechte Umgang lässt sich anschaulich anhand des steten Raubbaus am jährlichen Verteidigungshaushalt festmachen. Der Verteidigungshaushalt wird immer wieder als finanzpolitisches Stiefkind behandelt, auch weil die Bundeswehr kritiklos das zur Grundlage von Schieben -Strecken - Streichen macht, was der Verteidigungsminister als Ergebnis bei den jährlichen Haushaltsverhandlungen erzielt hat. Dies hat zur Folge, dass unsere Soldaten mit immer älterem Material und immer weniger Raum für Investitionen immer mehr und immer anspruchsvollere Aufgaben wahrzunehmen haben. Als Ergebnis kann festgestellt werden, dass die Bundeswehr heute nicht in der Lage ist, den gestiegenen Anforderungen in vollem Umfang zu genügen. Dieses Ergebnis ist hauptsächlich eine Folge der nicht sachgerechten Wahrnehmung des politischen Primats durch Politiker, denen Sachkompetenz fehlt, und der unzureichenden Beratung durch verantwortliche militärische Fachleute.

Primat der Politik ist sehr eng mit der Pflicht zu verantwortlichem politischem Handeln verbunden. Wenn die Sachkompetenz fehlt, dann ist es die Pflicht der Politiker, sich eingehend fachlich beraten zu lassen, bevor Entscheidungen fallen. Aber auch hier gibt es keine Einbahnstraße. Die militärische Führung, die erkennt, dass politisches Handeln und Entscheidungen mangels Sachverstand zum Nachteil der Bundeswehr anstehen, hat die Pflicht zur Beratung und muss solche Beratung ggf. einfordern oder sich im Vorfeld unzureichender politischer Entscheidungen widersetzen. Daran mangelt es. Der letzte Generalinspekteur, der seine Beratungskompetenz öffentlich erkennbar geltend gemacht und Gehör gefordert hat, war aus meiner Sicht General Naumann. Das gereicht einer Parlamentsarmee nicht zur Ehre.

Die Bundeswehr ist längst eine Armee im Einsatz. Es geht nicht mehr um Manöverspiel in Abschreckungsszenarien, sondern im Auftrag des Parlamentes um reale Anwendung militärischer Waffengewalt in kriegsähnlichen Situationen unter Einsatz des Lebens deutscher Staatsbürger. Da darf es keine sachfremden Entscheidungen aufgrund des Primats nicht sachkompetenter Politiker zum Nachteil der Bundeswehr geben. Hier ist die Beratungspflicht durch die militärische Führung aktiv wahrzunehmen, wenn immer erforderlich.

Und jetzt geht es konkret um die Bundeswehr der Zukunft, die den vielfältigen sicherheitspolitischen Anforderungen gerecht werden soll. Ein solch gravierendes Thema gehört ins Parlament und nicht vorschnell in die Medien. Da muss seitens der militärischen Führung gefordert werden, dass politisch auch konkret definiert wird, über welche Fähigkeiten die zukünftigen Streitkräfte verfügen sollen, um hinsichtlich der zukünftigen Struktur und Ausrüstung sachgerecht beraten zu können. Vorwiegend finanzpolitisch orientierte Modellrechnungen helfen da nicht weiter. Diesem Mangel sollte der Bundestag unter Wahrnehmung seiner Kontrollfunktion gegenüber der Regierung abhelfen. Dazu muss der Bundestag beraten werden, auch um die eigenen politischen Defizite richtig einordnen zu können.

Und die „Experten“ im Verteidigungsausschuss, aber auch im Auswärtigen Ausschuss, müssten mit ihrer Erfahrung eigentlich erkennen, dass sie derzeit ihre eigenen Hausaufgaben noch nicht gemacht haben, nur sehr unzureichend informiert sind und bisher weder eine tragfähige Diskussionsgrundlage haben, noch politisch aussagefähig sind. In dieser Lage müsste das Parlament in Anlehnung an amerikanische Verfahrensweisen eigentlich den Generalinspekteur mit den Mitgliedern des militärischen Führungsrates zitieren und in einer öffentlichen Sitzung, des Plenums oder der zuständigen Ausschüsse, um Vortrag der militärischen Beurteilung der Sparvorgaben und der daraus resultierenden Strukturüberlegungen bitten. Darüber hinaus sollte jeder Offizier des militärischen Führungsrates aufgefordert werden, seine persönliche Einschätzung der Erfüllbarkeit zu erwartender sicherheitspolitischer Aufgaben darzulegen. Danach sollte dem Verteidigungsminister in einer öffentlichen Sitzung Gelegenheit zur Stellungnahme in gleicher Sache gegeben werden. Wichtig ist, dass der Primat der Politik verantwortungsbewusst wahrgenommen werden kann. Da ist Sachkunde durch Beratung unabdingbar. Und solange wir für militärfachliche Beratung der Legislative und der Exekutive keinen deutschen Generalstab haben, ist jeder Behelf besser als unterbliebene Beratung.

Ein solches Verfahren hätte eine Reihe von Vorteilen, nicht nur für die Bundeswehr. Die Politiker würden militärfachlich umfassend informiert sowie beraten und könnten sachkompetent diskutieren und später entscheiden. Die militärische Führung hätte eine sachdienliche Chance, sich in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen und Gelegenheit, auch den Soldaten der Bundeswehr Vertrauen schaffend zu zeigen, mit welchen Argumenten und Überzeugungen sie für die Bundeswehr der Zukunft eintreten, ohne sich hinter dem Primat der Politik „verstecken“ zu können. Der Verteidigungsminister wäre auch gezwungen, in der Sache konkret öffentlich Stellung zu nehmen und sich gegebenenfalls kritisch oder unterstützend mit den Aussagen der Mitglieder des militärischen Führungsrates auseinanderzusetzen. Die interessierte Öffentlichkeit könnte so informiert werden und sich an der Diskussion sachkundiger beteiligen. Eine echte Win-Win-Situation.

Der Primat der Politik ist an verantwortliches sachkundiges Handeln gebunden. Die Politiker müssen sich sachkundig machen und machen lassen und die verantwortlichen Fachleute müssen ihre Sachkompetenz einbringen und gegebenenfalls Gehör fordern. Auf solcher Grundlage können Politiker Vertrauen zurückgewinnen und die militärische Führung Vertrauen stärken.

(27.08.2010)

 

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