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Reserven zeit- und lagegerecht nutzen (26.09.2010)

 

 

Die Lage in Nordafghanistan ist nicht ruhig und nicht stabil. Die deutschen Soldaten, insbesondere im Raum Kunduz, werden immer häufiger in Gefechte verwickelt und insbesondere im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen haben die Taliban erneut unter Beweis gestellt, dass sie das Heft des Handelns in der Hand halten, jederzeit die Initiative ergreifen können und auch ganze Räume beherrschen. Dagegen muss etwas getan werden, wenn die internationale Staatengemeinschaft der Verantwortung für die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung gerecht werden will.

Die Erfolge der ISAF sind nur mühsam zu erarbeiten und wenig spektakulär. Da ist es besonders erfreulich, dass kürzlich Spezialkräften die Festnahme eines hohen Talibanführers gelungen ist. Wo sollen andere Erfolge in Nordafghanistan auch herkommen, wenn sich der Aufbau der deutschen Ausbildungs- und Schutzbataillone deutlich verzögert (das zweite Bataillon soll nun erst Ende Oktober 2010 in Dienst gestellt werden) und so Partnering-Operationen gegen die Taliban nur sehr zögerlich anlaufen können und wenn Kampftruppen fehlen, um die Patrouillentätigkeit zu verstärken oder Operationen gegen die Taliban zu ermöglichen. In dieser Lage wird jeder verfügbare Ausbilder und jeder zusätzliche Kampftruppensoldat gebraucht. Deswegen ist es sehr gut nachzuvollziehen, dass General Petraeus bereits im August darum gebeten hat, die schon lange etwas überflüssigen und deswegen auch alles andere als preiswerten Aufklärungstornados abzuziehen und die dadurch frei werdenden Kontingentstellen durch Ausbilder zu füllen.

Der verantwortliche ISAF-Befehlshaber macht solche Vorschläge natürlich aus guten Gründen. Er weiß genau, dass er für das erfolgreiche Umsetzen seiner neuen „Strategie“, trotz der großen amerikanischen Anstrengungen, nicht genug Ausbilder für afghanische Polizei und Streitkräfte und auch nicht genug Kampftruppe für eine offensive und nachhaltige Bekämpfung der Taliban zur Verfügung hat. Deswegen ist es nur zu verständlich, dass General Petraeus auch darum bittet, die 350 Soldaten der deutschen „flexiblen Reserve“ in Kabul oder Nordafghanistan einzusetzen, um die Zahl der verfügbaren Ausbilder zu verstärken und Reserven an Kampftruppen vor Ort verfügbar zu haben. Und die Zeit drängt, denn die Witterungsverhältnisse in Afghanistan werden in naher Zukunft sowohl Ausbildung von ANP und ANA als auch Operationen gegen die Taliban deutlich erschweren. Und die Zeit drängt auch sehr, weil 2011 mit dem Abzug der internationalen Schutztruppe begonnen werden soll.

Aus gutem Grund und in Kenntnis der Lage in Afghanistan stehen Verteidigungsminister zu Guttenberg und der Generalinspekteur offenbar dem Antrag des ISAF-Befehlshabers positiv gegenüber. Denn Deutschland will, die "nicht mehr vordringlich" wichtigen Tornados bis November abziehen und mehr Soldaten zu "Ausbildung, Mentoring und Partnering" der afghanischen Armee an den Hindukusch schicken. Bisher wurde allerdings die Zahl von nur 90 Soldaten bekannt. Schwieriger wird es mit dem Einsatz der „flexiblen Reserve“, denn der ist laut Mandat zeitlich befristet und an konkrete Bedingungen geknüpft. Außerdem müssen sowohl der Auswärtige Ausschuss als auch der Verteidigungsausschuss des Bundestages zustimmen. SPD und Grüne haben schon signalisiert, dass sie dem Einsatz der Reserve und damit dem Ausschöpfen der Mandatsobergrenze von 5.350 Soldaten nicht zustimmen wollen.

In sicherheitspolitischen Fragen sollte ein weitgehender Konsens der Demokraten immer angestrebt werden. Das hat aber dort seine Grenzen, wo erkennbar Opposition vor sachbezogener Sicherheitspolitik geht. Deswegen sollten die Abgeordneten der christlich liberalen Koalition auch gegen die Stimmen der Opposition beschließen, alle ursprünglich für den Tornado-Einsatz mandatierten Soldaten, also weit mehr als nur 90, durch deutsche Ausbilder und Soldaten der Kampftruppe zu ersetzen.

Der Bundestag sollte auch beschließen, die „flexible Reserve“ für einen zeitlich begrenzten Einsatz zur aktiven Bekämpfung der Taliban freizugeben und so zeitlich begrenzt die Mandatsobergrenze von 5.350 Soldaten voll auszuschöpfen.

Eine Entscheidung, die für den Tornado-Einsatz mandatierten Soldaten durch Ausbilder und Kampftruppe zu ersetzen, ist aus der derzeitigen Struktur der Bundeswehr nicht auf Knopfdruck zu realisieren, weil diese Soldaten erst verfügbar gemacht und ausgebildet werden müssen. Deswegen sollte der Bundeswehr freie Hand gegeben werden, Ausbilder und Kampftruppe im Zeitraum bis zur Mandatsverlängerung im Februar 2011 lageentsprechend bis zu einer Obergrenze 5.000 zu verstärken.

Der Einsatz der „flexiblen Reserve“ sollte grundsätzlich freigegeben werden, vorbehaltlich eines Einsatzkonzeptes, das den Einsatz in Afghanistan zeitlich begrenzt und die Notwendigkeit begründet. Mit dem Einsatz der Reserve wäre dann die Mandatsobergrenze von 5.350 ausgeschöpft.

Außenminister Westerwelle sagte im Rahmen des Treffens der Vereinten Nationen in New York: „Frei werdende Kapazitäten und Spielräume sollten genutzt werden, um unsere Ausbildungskapazitäten zu stärken. Das entspricht dem von der Bundesregierung beschlossenen Afghanistan-Konzept.“ Der Außenminister hat betont, dass deutsche Außenpolitik Friedenspolitik ist. Deswegen erwähnt er in diesem Zusammenhang nicht, dass erfolgreiche Ausbildung natürlich ein hinreichendes Maß an Sicherheit voraussetzt, das es zu gewährleisten gilt. Voraussetzung für gesicherte Ausbildung und die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung ist die erfolgreiche Bekämpfung der Taliban. Dazu bedarf es verstärkter Kampftruppen.  Immerhin sagt der deutsche Außenminister, dass die Spielräume genutzt werden sollten.

Und der Vize-Kanzler sagte auch: „Ausbildung ist die Voraussetzung, damit eine selbst tragende Sicherheit entsteht und die Übergabe der Sicherheitsverantwortung möglich wird.“ Wenn die „Übergabe in Verantwortung“ in 2011 verantwortbar sein und beginnen soll, dann müssen wir so schnell und so gut wie möglich und erforderlich die Bedingungen selbst tragender afghanischer Sicherheit schaffen. Ausbildung afghanischer Polizei und Streitkräfte ist dabei nur eine Seite der Medaille, die andere Seite ist der Schutz der Bevölkerung vor den Taliban. Hinreichender Schutz ist nur mit mehr Kampftruppen zu gewährleisten.

Das Parlament sollte die Kraft aufbringen, auch den Bedarf an Kampftruppen für offensive Operationen gegen die Taliban anzuerkennen und dann die Bevölkerung darüber zu informieren. Der Bundestag sollte der Bundeswehr die erforderliche Flexibilität bis zur Mandatsobergrenze einräumen, um ihren Auftrag mit besserer Aussicht auf Erfolg ausführen zu können. Militärische Reserven sind keine politische Größe und sie sind dazu da, zeit- und lagegerecht eingesetzt zu werden.

(26.09.2010)

 

 

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