Strategie für Afghanistan
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Strategie für Afghanistan (10.01.2010)

 

 

Es ist ärgerlich. Mit der Überschrift „Afghanistan-Strategie entzweit Westerwelle und Guttenberg“ berichtet Spiegel-online am 08.01.2010 über den „Kursstreit“ vor der Afghanistan-Konferenz in London.

Und die Website berichtet weiter unter "Afghanistan-Strategie...":  "Es gibt viele Unklarheiten vor der Afghanistan-Konferenz in London, die wohl kurioseste betrifft die Gästeliste des internationalen Treffens. Bisher ist nicht einmal klar, wer aus Deutschland am 28. Januar nach London reist." Und weiter: "Viel brachialer aber ringt die Bundesregierung mittlerweile um ihren Kurs vor und auf der Konferenz." Und worum geht es: "So machte Westerwelle deutlich, dass er eine frühzeitige Zusage über mehr Soldaten auf keinen Fall mittragen wolle. Stattdessen solle man mehr für die Polizeiausbildung tun. Wie dies geschehen soll, trug Westerwelle nicht vor." Derweil  bezeichnete Verteidigungsminister zu Guttenberg Forderungen nach 2500 zusätzlichen Soldaten kürzlich als "unrealistisch".

Das alles ist traurig aber wohl wahr. Die Spiegel-Redakteure können mit dem Inhalt des Strategie-Begriffes nichts anfangen und die verantwortlichen Politiker diskutieren nicht über ein strategisches Konzept, sondern, ohne wirkliche inhaltliche Grundlagen und Ziele, über Zahlen, die innenpolitisch durchsetzbar scheinen. Die Bundesregierung ringt nicht um Ziele und Wege zur Zielerreichung in Afghanistan sondern „um ihren Kurs vor und nach der Konferenz“.

Mit verantwortungsvoller Afghanistanpolitik unter dem Credo "Übergabe in Verantwortung" hat das alles nichts zu tun. Dabei ist es ja durchaus möglich, dass die Ministerien mit ihrer Arbeit sehr viel weiter sind, die Politik verhält sich aber nicht entsprechend. Und so wirft diese Diskussion ein grelles Licht auf das unverständlich niedrige Niveau der Strategiediskussion seitens der Politiker in Deutschland.

Zunächst einmal ist Strategie mit "Kurs" sehr unzureichend beschrieben. Vielmehr ist Strategie ein längerfristig ausgerichtetes, planvolles Anstreben eines Ziels unter Berücksichtigung der verfügbaren Mittel und Ressourcen. Diese Definition ist eher militärischer Herkunft. Die Wirtschaft versteht unter Strategie klassisch die (meist langfristig) geplanten Verhaltensweisen der Unternehmen zur Erreichung ihrer Ziele (Wikipedia). Das ist sinngleich. Keinem ernstzunehmenden und verantwortungsbewussten Militär oder Ökonomen wird es einfallen, Zahlen zu diskutieren oder gar festzulegen ohne die Stimmigkeit dieser Zahlen an einem mittel- und langfristig definierten Ziel zu prüfen.

Politik und insbesondere die Afghanistanpolitik wird nach anderen Gesetzen gemacht.

Deutschland hat 2001 entschieden, sich zusammen mit der internationalen Gemeinschaft auf der Grundlage einer UN-Resolution in Afghanistan zu engagieren. Nachdem wir politisch mit der Petersbergkonferenz zusätzlich Verantwortung übernommen hatten, wurde unser erstes Engagement entschieden. Wir haben politisch die Verantwortung für den Aufbau der afghanischen Polizei übernommen, wir haben einen ersten militärischen Beitrag festgelegt und die Höhe der Entwicklungshilfe entschieden. Jedes beteiligte Ressort hatte dann seine Vorstellungen entwickelt und die Nichtregierungsorganisationen sind in ihrer Hilfswilligkeit schon mal unkoordiniert losgefahren. Mit einer deutschen Strategie im Sinne eines längerfristig ausgerichteten planvollen Anstrebens eines Ziels unter Berücksichtigung der verfügbaren Mittel und Ressourcen hat das alles nichts zu tun.

Die deutsche Politik hat nicht definiert, welches politische Ziel wir auf der Grundlage der UN-Resolution mit unserem Beitrag in welcher Zeit, mit welchen Mitteln und Ressourcen, in welcher Qualität erreichen wollen. Deutschland hat auch nicht definiert, was denn die vitalen nationalen Interessen dieses Engagements sein sollen. Und das oberflächliche Schlagwort von der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch kann ja wohl in dem Zusammenhang nicht ernsthaft als hinreichend gelten. Die Bundesrepublik hat nicht klar gesagt, ob wir, zusammen mit unseren Verbündeten, Al-Qaida wirksam bekämpfen oder ob wir uns da heraushalten wollen. Deswegen wurden auch keine tragfähigen rechtlichen Grundlagen für ein erfolgreiches militärisches Engagement als Voraussetzung für erfolgreichen Aufbau geschaffen. Deutschland hat nicht festgelegt, ob es in erster Priorität ein humanitärer, ein Polizei- oder ein Militäreinsatz sein sollte. Der deutschen Politik ging es augenscheinlich weniger um das Wohl der afghanischen Bevölkerung als um die Diskussion von politisch vertretbaren Obergrenzen und deren Finanzierung. Die verantwortlichen Politiker haben sich so über die Jahre eher durchlaviert. Wer nicht genau weiß was er will und was er bereit ist, für ein noch so vages Ziel zu investieren, der weiß auch nicht, wie er Erfolg messen soll, wie lange er voraussichtlich investieren muss und ab wann zu Lasten des Steuerzahlers fehlinvestiert wird. Solche Politik lebt nicht von Substanz sondern hauptsächlich von Schlagworten. Und solche Politik ist der Öffentlichkeit auch nicht plausibel und glaubwürdig zu erklären. Und solche Politik verursacht geradezu vielstimmige und unterschiedliche öffentliche Aussagen, weil ja jeder Verantwortliche in die eine oder andere Richtung ein schlechtes Gewissen hat.

Die deutsche Politik war von 2001 an ohne ein gesamtstrategisches Konzept in Afghanistan engagiert und deswegen auch nur unzureichend erfolgreich. Das ist ein trauriger Befund.

Solche unzureichende Politik ist natürlich an Namen festzumachen. Die für die Afghanistan-Politik federführenden Außenminister Fischer und Steinmeier haben sich nicht positiv gestaltend ausgewirkt, Verteidigungsminister Jung hat diesbezüglich sehr magere vier Jahre zu verantworten und die Entwicklungshilfeministerin hat die meiste Zeit gegen das Verteidigungsressort gearbeitet. Die Innenminister schienen an Afghanistan nie richtig interessiert zu sein. An die Definition eines gemeinsamen Zieles und das länger ausgerichtete planvolle Anstreben eines solchen Zieles unter Festlegung der lageentsprechend erforderlichen Ressourcen und Mittel hat keiner gedacht, auch nicht Kanzler und Kanzlerin.  

Nun sind andere Politiker in der Verantwortung, doch bisher gibt es nur teilweise Grund zur Hoffnung. Hoffnungsvoll stimmt zunächst, dass für die Koordinierung der Afghanistanpolitik ein Kabinettsauschuss gebildet wurde, in dem alle beteiligten Ressorts und der Kanzleramtsminister einbezogen sind. Positiv ist auch, dass Kanzlerin Merkel in diesem Gremium Führung übernommen hat und dass Sonderbeauftragter Mützelburg inzwischen nicht nur dem Außenminister sondern diesem Ausschuss vorträgt. Die Grundlagen für vernetzte Politik und die Erarbeitung eines gesamtstrategischen Konzeptes sind also gelegt.

Aber obwohl der hochkarätige Ausschuss schon dreimal getagt hat, hat die Vielstimmigkeit der öffentlichen Aussagen noch nicht merklich abgenommen und es werden weiterhin Schlagworte bemüht, die einer strategischen Grundlage entbehren. Was heißt „Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen“ und wer sichert das Mehr an zivilem Engagement ab, mit welchem Ziel und mit welchem personellen und materiellen Aufwand soll „mehr für die Polizeiausbildung“ getan werden, warum ist es „unrealistisch“ von einem Mehrbedarf an 2500 Soldaten zu sprechen und auf welcher politischen und gesamtstrategischen Grundlage ist eine „Übergabe in Verantwortung“ verantwortbar? Es gibt noch sehr viel mehr Fragen aber es gibt keine konkreten Antworten, weil wir bisher immer noch keinen Entwurf eines Plans für Afghanistan haben.

„Und so war aus Regierungskreisen zu hören, dass man vor der Konferenz ein Paket schnüren wolle, um nicht mit leeren Händen nach Großbritannien zu reisen. Angestrebt wird ein Kompromiss:

  • mehr Militär, vielleicht bis zu 1000 Soldaten,
  • davon viele Ausbilder für die Afghanen,
  • ein bisschen mehr Polizeiausbildung
  • und mehr Geld für die Entwicklungshilfe.“ (Spiegel-online)

Auch mit wenig in den feuchten Händen wird die europäische Mittelmacht Deutschland in London keinen überzeugenden Eindruck machen, denn die Fachleute wissen sehr wohl um die Schwächen solcher möglichen Zusagen. Und die Fachleute fragen sich, was mit einem solchen Kompromiss in welcher Zeit erreicht werden soll und wie das Ganze in das Engagement der Internationalen Staatengemeinschaft passt. Und auch die stark interessierten deutschen Bürger werden einen solchen Kompromiss nicht verstehen können, weil er sachlich auch so nicht zu begründen ist.

Es ist aber noch ein wenig Zeit bis zur Konferenz, und diese Zeit sollte genutzt werden.

Deutschland muss eine gründliche Bilanz des bisherigen Afghanistan--Engagements ziehen und analysieren, welche Ziele die Vereinten Nationen und unsere Bündnispartner in welchen Zeiträumen erreichen wollen. Wir müssen dann festlegen, was genau unsere gesamtpolitischen, außenpolitischen, bündnispolitischen, sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen vitalen Interessen in Afghanistan sind. Auf der Grundlage solcher definierten deutschen Interessen ist eine politische Abwägung vorzunehmen und es sind Prioritäten und Schwerpunkte festzulegen. Auf dieser Grundlage sind in den einzelnen Politikfeldern Ziele zu formulieren und sowohl Maßstäbe als auch Zeiträume für die Zielerreichung sowie die dafür erforderlichen Mittel festzulegen. Diese Ziele sind zu einem Zielsystem zusammenzuführen. Die Arbeitsergebnisse sind als Entwurf eines gesamtstrategischen Konzeptes für Afghanistan zu fassen und dem Parlament zur Diskussion und Entscheidung vorzulegen.

Auf dieser Grundlage kann Deutschland dann fundiert an der Londoner Konferenz teilnehmen, sich mit konstruktiven Vorschlägen zum Wohle der afghanischen Bevölkerung einbringen und so nicht nur seinem politischen Gewicht sondern auch den bisher in Afghanistan eingesetzten deutschen Staatsbürgern endlich gerecht werden. Wenn ein solcher Ansatz gelingt, dann muss der SPD-Vorsitzende Gabriel auch keine eigene Afghanistan-Konferenz veranstalten, bei der es wohl nicht vordringlich um das Wohl des afghanischen Volkes, sondern um innenpolitisch orientierte, populistische Absetzbewegungen aus dem sicherheitspolitischen Konsens der Demokraten geht.

Bisher ist der deutsche strategische Geist noch in der Flasche und nur der Ungeist kleinlichen, populistischen Taktierens ist entwichen. Das muss sich ändern.

 

(10.01.2010)

 

 

 

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