Wirkung aus der Deckung
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Wirkung aus der Deckung  (20.09.2009)

 

 

 

 

Über die vermeintliche Harmlosigkeit der Deutschen wird bei der NATO gespöttelt und den Soldaten der Bundeswehr im Afghanistan-Einsatz wird von den Alliierten häufiger der Vorwurf gemacht, dass sie sich zu aufwändig sowie zeit- und kräfteintensiv in der „Deckung“ ihres Lagers organisieren. Es wird bemängelt, dass sie ausschließlich patrouillieren und trotzdem zu wenig Präsenz in der Region zeigen. Und Alliierte merken an, dass die deutschen Soldaten wohl Gespräche mit regionalen und lokalen Authoritäten führen, aber aufgrund der verfügbaren Kräfte nicht aktiv, offensiv und initiativ gegen die Taliban vorgehen, so würden z. B. keine Counter-Insurgency-Operations durchgeführt.

Wer nicht erkennbar effektiv operiert, wird weniger geachtet und respektiert, von Freund und von Feind. Wer aufgrund politischer Auflagen militärisch nicht die Initiative gegen paramilitärisch organisierte und geführte Kleinkrieger ergreifen kann, wird zum bevorzugten Ziel von Kleinkriegsoperationen der Taliban.

Und es ist schon etwas dran, wenn von Kritikern vorwurfsvoll angemerkt wird, dass von 100 deutschen Soldaten im Einsatz ca. 90 nahezu nie das Lager, die „Deckung“ verlassen. Ein Grund für dieses Missverhältnis ist ausufernde Bürokratie im Einsatz.  Dabei müsste eigentlich der Grundsatz gelten: „Wirkung geht vor Deckung“!

Aber für wirkungsvolle Operationen gegen die Taliban fehlen die politische sowie militärstrategische Zielsetzung, der entsprechende militärische Auftrag und in Folge ausreichend Personal sowie Material für Kampfeinsätze gegen die Taliban und es fehlen hinreichend starke Personal- und Materialreserven. So kommt es bei verschlechterter Lage und aufgrund dieser - hauptsächlich politisch verschuldeten - Defizite zu einem sich verstärkenden Rückzug der deutschen Soldaten aus der Fläche der Region Kunduz und es bleibt bei einer „eingeschränkten Wirkung aus gut organisierter Deckung“.

Nun hat der Kommandeur des Regionalen Wiederaufbau-Teams in Kunduz in der Nacht des 04.09.2009 entschieden, durch einen Luftschlag gegen die Taliban große Wirkung aus der Deckung heraus zu erzielen, ohne dass eigene Kampftruppen in diese Operation einbezogen waren. Untersuchungskommissionen werden festzustellen haben, ob und in welcher Qualität dabei Fehler gemacht wurden. Wichtig für unsere Thematik ist die Antwort auf die Frage, warum keine eigenen Spähtrupps die gestohlenen Tanklastwagen aufgeklärt und dann ständig Verbindung zum Objekt gehalten haben und warum keine eigenen Infanteriekräfte den Versuch unternommen haben, die Tanklastwagen wieder in Besitz zu nehmen oder z.B. mit Panzerabwehrwaffen zu zerstören.

Es gibt eine Reihe möglicher Antworten, aber die ausschlaggebende Begründung liegt auf der Hand: es waren zum Zeitpunkt wichtiger Entscheidungen eigene Kampftruppen nicht in erforderlicher Stärke und Ausrüstung verfügbar. Eigene Kampftruppe war an anderer Stelle in zu großer Entfernung gebunden, Reserven waren nicht zur Stelle. Eine solche militärische Lage ist ganz weit entfernt von einschlägigen militärischen Lehrbüchern.

Eine solche Lage entsteht, wenn Auftrag und Mittel nicht übereinstimmen. Nach deutschen politischen Vorstellungen sind unsere Einsatzkräfte in einem „vernetzten Stabilisierungseinsatz“, dafür sind sie personell und materiell grundsätzlich ausgestattet. Die Lage in der Nordregion hat sich aber deutlich verschärft, weil die Taliban von den Stabilisierungsbemühungen der Bundeswehr nicht beeindruckt sind. Die Taliban führen Kleinkrieg gegen die Bundeswehr. Und die politische Führung, m. E. schlecht beraten durch den Generalinspekteur, hat sich erst unter großem öffentlichem Druck und zu spät herbeigelassen, das deutsche Engagement als „Stabilisierungseinsatz auch mit Kampftätigkeiten“ zu definieren, und die Taschenkarte für Waffeneinsatz nachgesteuert.

Personell und materiell wurde bisher nicht nachgebessert, um die Bundeswehr mit Aussicht auf Erfolg zu befähigen, die verlorene Initiative zurückzugewinnen und den Kleinkriegsoperationen der Taliban wirksam zu begegnen.

In einem internen Erfahrungsbericht soll der für die Nordregion verantwortliche Brigadegeneral Vollmer schon im August eklatante Ausrüstungsmängel (Mängelliste mit 155 Einzelpunkten) beklagt haben, zu wenig Hubschrauber, zu wenig geschützte Fahrzeuge, kein Ersatz für ausgefallene und zerstörte Gefechtsfahrzeuge etc., etc, etc.. Von den 38 von Januar bis Juli ausgefallenen Gefechtsfahrzeugen ist offenbar noch keines ersetzt.  Die Bundeswehr stößt überall an Grenzen.

Dort wo die Soldaten nicht präsent sind, breiten sich die Taliban aus. Allein um die Präsenz in der Region Kunduz zu erhöhen, wurde eine zusätzliche Infanteriekompanie gefordert, von der stark gestiegenen Notwendigkeit, den verstärkten Kleinkriegsoperationen der Taliban entgegenzutreten, ist da noch gar keine Rede!

Gefordert wurde schon lange und immer wieder. Getan hat sich nahezu nichts - und es wird sich so schnell nichts tun - , denn wenn die politische Führung jetzt personell und materiell lageentsprechend deutlich nachbessert, dann kommt das dem Eingeständnis gleich, dass die politische Führung, schlecht beraten durch den Einsatz-nicht-erfahrenen Generalinspekteur, die Lage bisher zum Nachteil unserer Soldaten schöngefärbt und die Öffentlichkeit unehrlich informiert hat.

Es rächt sich bitter, dass die politische Führung bisher nicht den Mut und die Kraft hat, den Auftrag der Bundeswehr im Afghanistaneinsatz der Realität entsprechend neu zu formulieren und dann Auftrag und Mittel in Einklang zu bringen. Es rächt sich m. E., dass der Generalinspekteur seine Beratung offensichtlich nicht – oder zumindest nicht mit Erfolg –  am realen Bedarf der Auftragserfüllung der Bundeswehr orientiert, sondern am politischen Kalkül.

Es rächt sich, dass der für die Einsätze der Bundeswehr zuständige Generalinspekteur offenbar keinen Versuch unternommen hat, bzw. ggf. keinen Erfolg dabei hatte, den Abbau der personalfressenden und die militärische Auftragserfüllung beeinträchtigende Bürokratie im Einsatz voranzubringen.

Als Ergebnis fehlerhafter und unehrlicher Sicherheitspolitik kann festgehalten werden, dass das deutsche Kräftedispositiv derzeit nicht ausreicht, um Afghanistan möglichst bald und verantwortungsbewusst sich selbst zu überlassen. Dazu behindert mangelhafte Ausrüstung die erfolgreiche Erfüllung des Auftrages und erhöht die Gefährdung unserer Soldaten im Einsatz.

Über mögliche Fehler beim Luftschlag vom 04.09.2009 werden die Untersuchungskommissionen befinden. Aber ehrliche, an der Realität orientierte deutsche Sicherheitspolitik und in Folge die Stimmigkeit von Auftrag und Mitteln für deutsche Bürger im Einsatz müssen die Bürger in Deutschland mit Nachdruck fordern.

Hier geht es nicht darum, ggf. emotional gegen den Afghanistan-Einsatz zu sein, sondern es geht darum, das politisch entschiedene und erforderliche deutsche Engagement in Afghanistan so zu gestalten, dass unsere Landsleute ihre Aufgabe mit möglichst wenigen Verlusten erfüllen und dann irgendwann, wenn die vorgegebenen Ziele erreicht sind, beenden können.

Beschönigen hilft nur kurzfristig und in keinem Fall der Truppe!

 

(20.09.2009)

 

 

 

 

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